Perrey prägte Mannheims Gesicht

WOCHENBLATT Mannheim

Selbst aus Kläranlagen machte er noch Kunstwerke – aber er war umstritten. Von Veit Lennartz

Was hat das Klohäuschen auf dem Lindenhof mit dem Herschelbad zu tun? Eigentlich nichts. Und dennoch: Sie sind vom selben Baumeister erbaut worden. Von Richard Perrey, der wie kaum ein anderer das Gesicht Mannheims geprägt hat. 122 markante Bauwerke sind in seiner Zeit als Stadtbaumeister zwischen 1902 und 1918 entstanden, so auch die Städtischen Krankenanstalten und 21 große Schulen, von denen die imposanteste, an den schon vorher bestehenden Wasserturm angebaut, auf dem Luzenberg steht.

Die zehn Klohäuschen, „Abortgebäude” nannte man sie damals, sind dabei eher eine Randerscheinung, aber Mannheims Bürger wird es gefreut haben, flächendeckend mit stillen Örtchen versorgt zu werden.

Perrey machte aus jedem seiner Gebäude ein kleines Kunstwerk – mit heftigen Anleihen bei der Gotik, bei Barock, Renaissance und Jugendstil. Am liebsten gemischt. Rückwärtsgewandt sei er, dem Neuen nicht aufgeschlossen, zu monumental, hieß es damals. Das sieht man inzwischen sehr viel gnädiger: Viele seiner Gebäude stehen unter Denkmalschutz, und es haben sich sogar Initiativen gebildet zum Erhalt wie beim Herschelbad.

Oder zum Beispiel Dietmar Brixy, der mit viel Liebe zum Detail das Klärwerk in Neckarau restauriert und dort sein Atelier mitsamt Wohnung eingerichtet hat. Die Fassade erinnert eher an eine Kathedrale als an profanes Schmutzwasser, das dort einmal gereinigt wurde. So waren es auch immer die Zweckbauten, die unter Perrey zu regelrechten Prachtgebäuden wurden, sehr verspielt mit Giebeln, Erkern, Vorsprüngen, Ornamenten und imposanten Eingängen.

Die Elektrizitätswerke im Hafen und in Rheinau liegen da wie Kirchenschiffe. Manche Gebäude sind fast ein Geheimtipp, wie die Kioske vor der Pestalozzischule und vor der Uhlandschule, die ursprünglich als Polizeiwache dienten.

So historisch die Fassaden anmuten, so modern war die Inneneinrichtung. Von der Belüftung über die sanitären Anlagen, die funktionalen Anordnungen der Räume – alles durchdacht und mit neuester Technik geplant. Das Herschelbad galt bei seiner Einweihung als das modernste in ganz Deutschland. Und die Städtischen Krankenanstalten hatten als erstes Krankenhaus eine Zentralheizung. Wirtschaftlichkeit und Haltbarkeit, dazu ein prächtiges Äußeres, das war die Devise von Richard Perrey.

Es war die Zeit des industriellen Aufschwungs in Mannheim, die Stadt boomte. Mehr als vier Milliarden Euro nach heutiger Währung wurden investiert. Was wurde zu Beginn des vorigen Jahrhunderts nicht alles gebaut: Pumpwerke, Kläranlagen, Straßenbahnhallen, Krankenhäuser, Schulen, Bäder, Leichenhallen und vieles mehr.

Viel übrig geblieben ist nicht. Zahlreiche Bauwerke wurden im Krieg zerstört und was nicht kaputt war, stand bei Kriegsende oft im Weg herum und wurde abgerissen und durch Neubauten ersetzt. In einigen Fällen verhinderten Bürgerinitiativen den Abriss, wie bei der Alten Feuerwache, die heute ein zentraler Ort für Kulturveranstaltungen ist.

Richard Perrey, der seine Laufbahn als Baumeister in Stettin begonnen hatte, musste seinen Stuhl als Hochbauamts-Chef allerdings 1918 räumen. Inzwischen hatte sich zu viel Unmut angesammelt. Denn Perrey sei autoritär und selbstherrlich, so die Kritik, ein kompromissloser Kontrollfreak und überhaupt ein „Festungsbaumeister”.

Während in der Kunsthalle der Begriff der „Neuen Sachlichkeit” geprägt wurde und das „Bauhaus” seine Schatten voraus warf, wirkte Perrey wie ein Fossil. Er durfte seine Bauten noch verwalten und schied 1923 aus den städtischen Diensten aus.

Während der Weimarer Republik war er Stadtverordneter der Deutschnationalen Volkspartei. Der Stadt Mannheim hat er ein bemerkenswertes bauliches Erbe hinterlassen.