Die ca. 4 km vom Mannheimer Stadtzentrum entfernt liegende Siedlung umfasste ursprünglich 19 Wohnblöcke mit insgesamt 366 Wohnungen, darunter 14 einzelne, 39 zweistöckige und 313 im Erd- ober Obergeschoss gelegene.
Von diesen steht nach Verlusten im Zweiten Weltkrieg und umfangreichen Abbrüchen in der Nachkriegszeit heute nur noch eine einzige Wohnhauszeile, nämlich die in der Rue de St. Quirin 134-154 (nach dem Ersten Weltkrieg Graf-von-Brauer-Straße; heute Spiegelstraße 31-51). Es handelt sich um einen lang gestreckten zweigeschossigen Putzbau mit Satteldach. Untypisch für Mannheim und sicher ein französisches Element ist die überdachte hölzerne Galerie an der Rückseite. Hierdurch konnten die Baukosten beträchtlich reduziert werden. Denn die Wohnungen des ersten Obergeschosses wurden ursprünglich über das gemeinsame Treppenhaus und den Laubengang erschlossen. Das im Jahre 1865 erbaute Reihenhaus hatte 22 Wohnungen. In einer der Wohnungen des Obergeschosses lebte zwei Jahre lang Sepp Herberger mit seiner verwitweten Mutter.
Beim letzten Umbau wurden zwei Etagen maisonetteartig zusammengezogen. Durch Hinzunahme des Dachspeichers erweiterte sich auf diese Weise die Wohnfläche auf ca. 100 qm. Ingesamt verfügt das Reihenhaus heute somit über 11 Wohneinheiten. Der Laubengang wurde bei der letzten Sanierung mit hölzernen Sichtblenden abgetrennt und zu Balkonen der jeweiligen Wohnungen umgewidmet. Die Wohnungen sind jeweils von der Vorder- und von der Rückseite zugänglich. Fenster, Haustüren und Klappläden wurden in Anlehnung an den historischen Bestand erneuert.
Die Wohnungen waren in der Regel mit einer Küche, einem Wohnzimmer und einer Schlafkammer ausgestattet und hatten je nach Typ zwischen 27 qm und 45 qm. Jede Wohnung verfügte über einen kleinen Kellerraum. Um 1900 kamen Kanalisation, Elektrizität und Wasserleitung hinzu. Eines der in jener Zeit angebauten Aborthäuschen konnte erhalten bleiben und dient heute als Abstellraum.
Zu jeder Wohnung gehörte ein Gartenanteil und Stall für Kleintierhaltung. Da die Siedlung weit entfernt von städtischer Infrastruktur lag, waren die Bewohner auf Selbstversorgung durch Eigenanbau von Obst und Gemüse sowie Eigenschlachtung von Hühnern, Kaninchen, Ziegen und Schweinen angewiesen. Der relativ große Gartenanteil je Wohnung ist eine wichtige Charakteristik aller Arbeitersiedlungen vor dem Ersten Weltkrieg.
Werksiedlung der Spiegelfabrik (heute Saint Gobain Glass)
Wohnungen
Die älteste Mannheimer Werksiedlung entstand nach Entwurf des französischen Architekten Raymond (nach anderen Quellen durch die Pariser Ingenieure Graf von Brauer und Reuß) ab 1853 am rechten Rheinufer auf Ödgelände der Käfertaler Gemarkung durch die Spiegelmanufaktur Waldhof, eine Aktiengesellschaft und Zweigfabrik der fanzösischen Compagnie des Manufactures de glaces et verres des St. Quirin, Cerey et Montherme in Paris. Das Unternehmen produzierte Spiegel- und normales Glas und war eine der ersten Spiegelfabriken im Bereich der deutschen Zollunion.
Für die Ansiedlung auf dem Luzenberg, der damals zur selbständigen Gemeinde Käfertal gehörte, gab es viele Gründe: Der zur Fabrikation benötigte feine Flugsand, die in der Gegend bereits ansässigen Sodafabriken, die ausgezeichnete Lage am Altrhein und die Hafenanlagen, die den Transport von Massengütern ermöglichten, sowie der billige Preis für wenig ertragreiche Böden und eine zwanzigjährige Abgabenfreiheit gegenüber der Gemeinde Käfertal. Als Standort wurde zudem das rechtsrheinische Gebiet deshalb gewählt, weil man befürchtete, Napoleon III. würde das linke Rheinufer besetzen, womit die Belieferung des deutschen Marktes wiederum durch Zölle erschwert würde.
Die Spiegelkolonie ist die älteste Arbeitersiedlung auf der heutigen Mannheimer Gemarkung, hingegen ist sie nicht - wie verschiedentlich geäußert - die älteste deutsche Siedlung. Die Anfänge der Eisenschmelz-Siedlung in St. Ingbert liegen immerhin im späten 18. Jahrhundert. Die Spiegelfabrik beschäftigte 1856 ca. 300 Arbeiter. Um 1900 war der Höchststand mit ca. 400 Werksangehörigen erreicht. Im Jahre 1907 lebten in der Kolonie ca. 1700 Personen. Die Siedlung umfasste 366 Wohnungen in 19 Wohnblöcken auf einem weitläufigen Gebiet von ca. 60.000 qm. Der Koloniecharakter wurde unterstrichen durch die Existenz einer katholischen und protestantischen Kirche, eines Kindergartens, einer Schule, einer Krankenanstalt, einer Apotheke, einer Turnhalle, einer Kantine und eines Backhauses. In der sog. Kleinkinder-Bewahranstalt erfuhren Kinder ab dem 3. Lebensjahr unter sachkundiger Leitung unentgeltlich Aufnahme und Pflege. Die Arbeitersiedlung war über Jahrzehnte ein eigenständiges Dorf mit französischen Straßennamen und eigenem kulturellen Leben.
In dem Haus Rue de France 171, das heute nicht mehr steht, wurde im Jahre 1897 der spätere Nationaltrainer Sepp Herberger geboren. Sein Vater war in der Spiegelmanufaktur beschäftigt.
An ältere, verheiratete Arbeiter wurden die Wohnungen mietfrei abgegeben. Aber auch der Erwerb eines eigenen Hauses in den nahen Ortschaften wurde unter bestimmten Bedingungen durch das Unternehmen gefördert. Kurz nach dem Jahr 2000 veräußerte die Firma Saint-Gobain Glass die Hauszeile an Privateigentümer, die die Sanierung des Gebäudes in Angriff nahmen.
Von der ursprünglich ca. 60.000 qm umfassenden Siedlung mit 366 Wohnungen steht nur noch ein Reihenhaus mit 11 Wohneinheiten.
- Roland Eisenlohr: Das Arbeiter-Siedelungswesen der Stadt Mannheim, Karlsruhe 1921
- Rolf Paetzold: Die „Spiegelfabrik“ in Mannheim-Waldhof, in: Mannheimer Hefte, 1954, H. 3, S. 16-19
- Karl-Heinz Schwarz-Pich: Die Spiegelkolinie im Mannheimer Stadtteil Waldhof, in: Badische Heimat, 1999, H. 1, S. 150-155
- Horst Möller: Saint-Gobain in Deutschland. Von 1853 bis zur Gegenwart. Geschichte eines europäischen Unternehmens, München 2001
- Monika Ryll: Das Arbeitersiedlungswesen in Mannheim, in: Mannheim und seine Bauten, Bd. 5, 2005, S. 106-115
- Martin Wenz: Die älteste Werksiedlung Mannheims. Vom Umbau der so genannten Spiegelkolonie in Mannheim-Luzenberg, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 2008, H. 3, S. 168-170
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