Ehem. Federhalterfabrik Kaweco in Heidelberg

Dossenheimer Landstraße 98-104
69121 Heidelberg-Handschuhsheim

In der Dossenheimer Landstraße zog sich vor etwa 100 Jahren eine Kette von Schreibgeräteherstellern. Der einzige materielle Zeuge ist heute das Gebäude in der Nummer 98. Wer aufmerksam vorbei geht, dem fallen die zwei mannshohen Füllfederhalter in Stein rechts und links einer 60er-Jahre-Glastüre auf und darüber die Inschrift in Sandstein: H. Hebborn und Co, „Fabrik für Füllhalter und Füllbleistifte“.

Von der anderen Straßenseite aus fällt erst richtig auf, wie hoch und prächtig gestaltet das Eckhaus ist. Auf dem rustikalen, grob behauenen Sandstein im Erdgeschoss erheben sich drei Stockwerke in Backstein. Die Fenster sind groß, typische Fabrik-Sprossenfenster, darunter eine Sandsteinschürze. Das Dach ist großzügig mit Gauben ausgebaut.

Insgesamt fällt das Gebäude stark aus dem Rahmen der übrigen Wohnbebauung heraus. Obwohl es sehr hoch ist, wirkt es nicht wuchtig. Seiner Bauzeit um 1912 entsprechend, benutzt man Elemente des Jugendstils und des Heimatstils, allerdings eher zurückhaltend.

Das Gebäude hat in der Seitenstraße einen späteren Anbau und auch die Nummer 100 auf der linken Seite lässt schon von außen vermuten, dass auch hier etwas produziert wurde, wozu man viel Licht benötigte.

Nutzung (ursprünglich)

Federhalterfabriken

Nutzung (derzeit)

Modehandel, Wohnen

Geschichte

Heidelberg – und speziell der Stadtteil Handschuhsheim – war von ca. 1900 bis in die 1930er Jahre ein Zentrum der europäischen Füllfederhalterindustrie. Der größte der damaligen Hersteller war die Firma Kaweco mit ihren ca. 1200 Beschäftigten. Das Fabrikgebäude und das Füllhaltermuseum sind ihre hinterlassenen Spuren.

Die „Heidelberger Federhalterfabrik KAWECO“

1883: Gründung der ersten Heidelberger Federhalterfabrik Luce und Enßlen, Rohrbacher Straße 47. Es werden einfache Schreibgriffel und Federn hergestellt. Erste Füllhalter werden aus den USA bezogen.

1896: Umzug in die Dossenheimer Landstraße 98 (in ein Vorläufergebäude des heutigen) unter Jakob Wissing und Heinrich Koch.

1903: tritt Rudolph Weber in die Firma ein, seitdem heißt das Werk „Heidelberger Federhalterfabrik Koch, Weber & Co“ (– KaWeCo –– !) und hat 25 Beschäftigte.

1907: Erstmals wird eine Produktkapazität von 50.000 Stück erreicht. In Beerfelden im Hessischen Odenwald wird ein Zweigwerk errichtet.

Reklame für Sicherheitsfüller und Tintenfass (Foto 2017, Ritter)

1908: Neben dem Drehbleistift „Ko- Mio“ aus Galalith ("Milchstein", ein Casein-Kunststoff) wird jetzt auch der "Sicherheitsfüller Kaweco“ aus Hartgummi hergestellt.

1911: Neubau von Geschäftsräumen und Arbeiterwohnungen in der Dossenheimer Landstraße 101.

1912 – 1914: Bau eines neuen Hauptgebäudes in der Dossenheimer Landstraße 98.

1913: Der Katalog von 1913 weist weltweite Auslandsvertretungen nach.

1914: Eigene Goldfedernproduktion mit Lizenz und Maschinen der Firma Morton USA

1914 – 1918: Der Export wird eingeschränkt doch ergibt sich eine höhere Inlandsnachfrage, auch Rüstungsgüter für die Reichswehr müssen gefertigt werden. (z.B. Granatenschäfte)

1919 – 1928: Einige erfahrene Kaufleute treten aus der Heidelberger Federhalterfabrik aus und errichten eigene Betriebe. Weitere Schreibgerätehersteller ziehen nach Heidelberg.

1921: Die Heidelberger Federhalterfabrik wird mit einem Grundkapital von 5 Millionen Mark Aktiengesellschaft. Bis 1923 wird das Kapital auf 100 Millionen erhöht.

1923 - 1925: Ein großer Anbau an das alte Fabrikgebäude wird errichtet.

1924: Die Heidelberger Federhalterfabrik „Kaweco“ ist mit 1.200 Beschäftigten die größte Fabrik der Branche auf dem Kontinent. Die Zeit der Inflation wurde fast schadlos überwunden doch ergeben sich nach der Währungsreform wirtschaftliche Schwierigkeiten, die zu ersten Massenentlassungen führen.

1929: Konkursverfahren und Zwangsversteigerung der Gebäude. Die weltweit bekannte Marke Kaweco geht an die Badische Federhalterfabrik Knust, Grube & Woringen in Wiesloch. Das Heidelberger Werk wird stillgelegt, das Gebäude wird von zahlreichen Kleinbetrieben angemietet.

Weitere Geschichte der Marke KAWECO:

1960er Jahre: Werbevertrag mit Sepp Herberger, „Kaweco Sport“ Einzelfertigung.

1972: Der „Kaweco Sport Olympia“ ist der offizielle Füllhalter der Olympiade in München und auch der letzte Kaweco Sport, der in Wiesloch hergestellt wird. Die Kaweco firmiert danach in Mühlhausen in kleinen Verhältnissen als Handelsfirma bis zur Löschung im Register 1996.

1994: Erwerb der Markenrechte durch die Nürnberger h & m gutberlet GmbH, die bis heute den Klassiker Kaweco Sport und weitere Eigenprodukte mit den alten Namen herstellen.

Weitere Geschichte der Fabrik-Gebäude

Bereits seit 1928 und vermehrt nach dem Konkurs der Heidelberger Federhalterfabrik etablierten sich in den Gebäuden Dossenheimer Landstraße 98 – 104, die im Besitz der Süddeutschen Discontogesellschaft/ Deutsche Bank waren, zahlreiche Handwerks- und Handelsbetriebe für Metall-, Textil-, Werkzeug-, Schuh-, Kfz, und Töpfereiwaren. Auch einige ehemalige KAWECO Mitarbeiter richteten sich Füllhalterwerkstätten ein.

1932: mietet sich die Orthos Füllhaltergesellschaft (Lamy) ein und 1933 die „Füllfederhalterfabrik Heidelberg“, ein Tochterunternehmen von Hebborn & Co. Die Firma Hebborn war ursprünglich eine KAWECO Filiale in Köln gewesen, die seit ihrer Abtrennung Füllhalter unter dem Namen „Luxor“ produzierte.

1938: kaufte Hebborn das Gebäude Nr. 98 und ließ den Eingang mit Füllern und Logo schmücken.

Nach 1945 wurde der Firmensitz nach Heidelberg verlegt. Ab Mitte der 50er Jahre Herstellung von Kugelschreiberminen. 1970 Verkauf an Parker,

1976: Schließung des Hebborn-Werks und Zwischen- Nutzung als Behinderten- Werkstatt

1986: Verkauf an den Heidelberger Textil- Einzelhändler Niebel verkauft.

Gebäude Nr. 100:

Die Schreib- und Zeichengerätefabrik Philipp Mutschler, die seit 1928 in Handschuhsheim produzierte („Certo“ und „Reform“), hatte 1973 das Gebäude Nr. 100 von der Schuhfabrik Gustav Hoffmann („Elefanten“) und der Strickwaren-Fabrik Amalie Müller übernommen. Nach wirtschaftlichen Schwierigkeiten musste Mutschler 1999 in ein geleastes Gebäude im Handschuhsheimer Gewerbegebiet umziehen. 2003 wurde die Gesellschaft infolge eines erneuten Insolvenzverfahrens aufgelöst. Das Gebäude Dossenheimer Landstraße 100 wurde zur Nutzung von Eigentumswohnungen und Gewerbe umfangreich entkernt und renoviert.

Eigentümer
Modehaus Niebel
Erbauer
Kaweco
Bauzeit / Umbauten
1911-14
Autor*in
Thomas Neureither und Barbara Ritter
Letzte Änderung

Quelle: www.rhein-neckar-industriekultur.de/objekte/ehem-federhalterfabrik-kaweco-in-heidelberg