Bericht von der Führung am 24. 7. 2018
Industrielle Zeugnisse der großen Lederwerke von Worms gibt es nur noch ganz wenige. Dazu gehört der Verwaltungsbau von Doerr und Reinhart aus den 1920er Jahren, der heute vom Landesbetrieb Worms genutzt wird. Dank der Großzügigkeit des Amtsleiters Bernhard Knoop konnte Helmut Denschlag vom Altertumsverein und Lederarbeiterverein den rund 30 Gästen direkt vor Ort anhand einer Lithographie, von Aquarellen, Wandschmuck und Fotos vieles ganz anschaulich zeigen und erklären. Seine lebhafte Schilderung ließen die Arbeitsbedingungen und die Situation in der Stadt fast vor 100 Jahren lebendig werden. Überhaupt war es eine „haptische Führung“: viele Gerätschaften der Lederarbeiter, wie Messer, Zange und Stempel sowie Kuhhäute lagen auf den Besprechungstischen, alles anzufassen, hochzuheben und zu riechen. „Nur anschauen“ hieß es dagegen beim erst jüngst erworbenen äußerst kunstvoll gearbeiteten Erinnerungsstück aus dem Jahr 1895: eine rein aus Leder hergestellte „Glückwunschadresse“ mit der Unterschrift alle Arbeiter als Gruß für Bismarck zu seinem 80. Geburtstag. Dass praktisch alle Gebäude der einst wichtigen Lederindustrie derart rücksichts- und rückstandslos abgerissen wurden, ist aus heutiger Sicht fast nicht nachzuvollziehen. Es handelt sich dabei nicht um Bausünden aus den 1960er oder 70er Jahren. Noch Ende der 1990er Jahre wurden intakte Jugendstilgebäude wie die Kraftzentrale von Doerr und Reinhart „zugunsten“ öder Einkaufszentren niedergerissen, zu einer Zeit als andere Städte längst den Wert von Umnutzung historischer Industriegebäude erkannt hatten.