Die Villa L 5,3 steht auf dem Quadrat L 5 in einer baulichen Reihe historischer, Ende des 19. Jahrhunderts errichteter Villen des wohlhabenden Mannheimer Großbürgertums, die heute als Institutsgebäude von der Universität genutzt werden. Hier lagen bis zur Bebauung der Privathäuser ursprünglich die Großherzogliche Baumschule und die Schlossremise. Bei der Errichtung des Hauses war den Architekten Joseph Köchler & Georg Anton Karch die Rücksichtnahme auf das benachbarte Schloss zur besonderen Auflage gemacht worden. Alle drei freistehenden Fassen mussten im Gegensatz zu vielen anderen Gebäuden dieser Zeit als Ansichtsseiten ausgebildet werden. Für die Gestaltung wurden Stilelemente der italienischen Renaissance bevorzugt. Die Villa mit zwei Vollgeschossen und einem Mezzaningeschoss erhielt ein flaches Dach, das sich hinter einer Attika verbirgt. Die Außenfassaden wurden mit gelbem Sandstein verkleidet und ornamental geschmückt. Die Planung der Innenausstattung stammte z.T. – so die Halle und der Salon – von der Firma Schneider und Hanau aus Frankfurt/Main.
An der Südseite liegen der Haupteingang sowie der Dienstboteneingang, über dem eine Inschrift "1892-1893" das Baujahr wiedergibt. Ein weiterer Zugang führt in den Garten. Von dem Herrschaftseingang gelangte der Besucher über eine Treppe in das große Vestibül, von dem ursprünglich die Türen in das Raucherzimmer, Wohnzimmer, Speisezimmer und den Salon abgingen. Vom Dienstboteneingang erreichte man die Küche mit der Anrichte. Im ersten Obergeschoss lagen die Zimmer für die Kinder, das elterliche Schlafzimmer sowie das Badezimmer. Die Einrichtung eines Badezimmers drei Jahre nach Fertigstellung des Wasserturms auf dem Friedrichsplatz, mit dem die zentrale Wasserversorgung in Mannheim begann, ist in der Villa L 5,3 erstmals für die Quadratestadt dokumentiert und ein Zeichen dafür, dass die Bauherrschaft das Gebäude nach dem modernsten technischen und hygienischen Standard ausrüsten ließ.
Das Wohnhaus Paul Giulini wurde schon kurz nach Fertigstellung als mustergültiger Bau in der "Deutschen Bauzeitung" (1905) und in "Mannheim und seine Bauten" (1906) behandelt. Es ist eines der bedeutendsten Villen der Zeit um 1900 in monumentaler Gestaltung.
Wohnen
Die Familie Giulini ist seit 200 Jahren im Rhein-Neckar-Gebiet ansässig. Im Jahre 1823 kamen die beiden lombardischen Bürger Antonio und Paolo (Paul) Giulini (1796-1876) nach Mannheim und gründeten hier auf einem heute im Bezirk Wohlgelegen sich befindenden Areal eine Schwefelsäurefabrik. Es war das erste Chemieunternehmen in der Quadratestadt und die Keimzelle der späteren Chemischen Fabrik Wohlgelegen (dann Verein Chemischer Fabriken in Mannheim bzw. Kali-Chemie AG), deren Produktion Ende 1966 eingestellt wurde. Die Fabrikgebäude wurden schließlich restlos abgebrochen.
Aber schon 1849 war die Gründerfamilie Giulini aus dem Unternehmen ausgestiegen und hatte 1851die Firma auf die westliche Rheinseite verlegt. In Ludwigshafen war es die erste Fabrikansiedlung überhaupt. Die Stadt ist gewissermaßen aus der Firma Gebr. Giulini erwachsen. Mit dem Unternehmen begann die Entwicklung von Ludwigshafen als Chemiezentrum. Hier war die Infrastruktur, insbesondere die Anbindung an die neue Bahnlinie und an den Rhein besser als am alten Standort in Mannheim. Der Sohn des oben erwähnten Paul Giulini, Lorenz (1824-1898), trat ein Jahr später in das väterliche Unternehmen ein. Er war der erste studierte Chemiker der Familie und hatte 1845 in Heidelberg promoviert. Er erkannte mit großem Weitblick die erfolgversprechende Entwicklung des neuen Materials Aluminium und legte die Grundlagen für den später weltweit tätigen Chemiekonzern. Zur Gewinnung von Aluminium sind mehrere Schritte nötig. Aus dem Grundstoff Bauxit wird nach dessen Aufschließen und durch Zugabe von Sauerstoff Tonerde (Aluminiumoxid). Aus dieser wird schließlich durch bestimmte chemische Verfahren Aluminium gewonnen.
Lorenz Giulini hatte vier Söhne: Paul (1856-1899), Georg (1858-1954), Karl (1860-1906) und Wilhelm (1863-1903), die alle in das Unternehmen einstiegen. Leider konnte nur Georg nach dem frühen Tod seiner drei Brüder das väterliche Erbe über Jahrzehnte weiterführen. Auch er war ausgebildeter Chemiker und hatte bei Robert Wilhelm Bunsen im Jahre 1881 in Heidelberg promoviert. Er ließ sich 1899 von Rudolf Tillessen in der Werderstraße 38 im französischen Renaissancestil eine Villa errichten, die heute noch steht. Der jüngste Bruder Wilhelm - ebenfalls früh verstorben - hatte wenige Jahre vor seinem Tod an der Bismarckstraße im Quadrat L 9,7-8 die heute nicht mehr erhaltene Villa des Fabrikanten Gustav Federhaff erworben. Seine Witwe Anna Franziska geb. Joerger veräußerte das stattliche Gebäude schließlich 1912 an die Firma Heinrich Lanz, die es der Lanz-Tochter Emily Bumiller zum Wohnen übereignete.
Auch Paul Giulini, Bauherr von L 5,3, war nur ein kurzes Leben vergönnt. 27jährig hatte er sich mit Fanny Clemm (1864-1946) ehelich verbunden. Eine Schar von sieben Kindern bereicherte das Familienglück. Das Ehepaar entschloss sich wohl deshalb zum Bau eines größeren Wohnhauses und fand in unmittelbarer Nähe zum Schloss ein geeignetes Grundstück. Es beauftragte das Mannheimer Architekturbüro Joseph Köchler (1856-1937) und Georg Anton Karch (1848-1928) mit dem Entwurf einer dreigeschossigen Villa. Als Fertigstellungsjahr ist 1893 überliefert. Köchler & Karch hatten dieser Gegend bereits den Stempel aufgedrückt. Die meisten der vornehmen Häuser entstammten ihrem Atelier. In der großzügigen Villa L 5,3 wuchsen die Kinder heran; u.a. Renzo (1884-1961), der später das Ludwigshafener Familienunternehmen Gebr. Giulini GmbH in Mundenheim leitete, und Gisella (1885-1980), die 18-jährig den Industriellen Karl Lanz heiratete.
Mit dem Tod beider Söhne des Dr. Renzo (eigentlich Lorenz) Giulini, Dr. Udo Giulini (1918-1995) und Berto Giulini, war kein Familienmitglied mehr im Ludwigshafener Stammhaus in leitender Stellung tätig. Seit 1977 gehört die Giulini Chemie GmbH dem israelischen Staatskonzern „ICL - Israel Chemicals Ltd.“. 20 Jahre später wurden „BK (= Benckiser-Knapsack) Ladenburg GmbH“ und Giulini zur „BK Giulini GmbH“ vereint.
Das unbeschwerte Familienleben in L 5,3 fand mit dem Tod des Hausherrn 1899 ein unverhofftes Ende. Paul Giulini wurde auf dem Mannheimer Hauptfriedhof in einem monumentalen Rundtempel beigesetzt. Drei Jahre später zog die Witwe Fanny Giulini mit ihren vier Söhnen und drei Töchtern nach Heidelberg und verkaufte die Villa an den Bankier Hermann Soherr.
- Deutsche Bauzeitung 39/1905, S. 437 und 446
- Mannheim und seine Bauten, Mannheim 1906, S. 311ff
- Helmuth Bachelin: Giulini, Paul Franz, in: Neue Deutsche Biographie 6/1964, S. 420
- Helmuth Bachelin: Giulini, Lorenz, in: Neue Deutsche Biographie 6/1964, S. 419
- Helmuth Bachelin: Giulini, Georg, in: Neue Deutsche Biographie 6/1964, S. 418
- Ingeborg Riegl: Gisella Lanz-Giulini (1885-1980). Lebenslinien in Bildnis und Architektur, in: Badische Heimat 1/2008, S. 100ff
- Ferdinand Werner: Mannheimer Villen, Worms 2009, S. 94ff
- Hans-Gert Parzer und Sebastian Parzer: Von der "Schwefelsäurefabrik Gebrüder Giulini" zur "Kali-Chemie AG". Die wechselvolle Geschichte des ersten Mannheimer Chemieunternehmens, in: Mannheimer Geschichtsblätter 21/2011, S. 43ff
- Marchivum ZGS S 1/4207 (Paul Giulini), ZGS S 1/2488 (Georg Giulini), ZGS S 1/1182 (Renzo Giulini)
- www.albert-gieseler.de/dampf_de/firmen0/firmadet9529.shtml
- Rhein-Neckar-Zeitung 18.10.2013
- Webseite www.ICL-group.de
ÖPNV Straßenbahnlinie 1, 5, 7, 15, Buslinie 60 (Haltestelle Schloss)
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