Mitten in einem bunt gemischten Gewerbegebiet zwischen Heidelberg und Leimen führt die „Eternit-Straße“ zum gleichnamigen Werk. Auf den ersten Blick sehen die ausgedehnten Hallen nach einer Erweiterung des benachbarten Zementwerks aus: gigantisch groß, alle sind einheitlich mit grauen Welleternitplatten verkleidet. Die Nähe zum Zementwerk war bei der Gründung des Eternitwerks 1953 tatsächlich ausschlaggebend, denn Zement ist der Hauptbestandteil des hier hergestellten Werkstoffs Faserzementplatten. Er gelangte direkt über eine Rohrbrücke ins Werk.
Doch auf den zweiten Blick fällt auch Laien die besonders starke architektonische Gestaltung des Werks auf, vor allem in den südlichen, ältesten Werksabschnitten. Die ca. 300 Meter lange Sheddach-Halle wirkt mit ihrer Sägezahn-Silhouette elegant, ebenso wie das anschließende Werkstatt- und Sozialgebäude bis hin zu den Unterständen für Fahrzeuge und Rädern in der Nähe des Eingangs. Eine genauere Beschreibung der Gebäude mit vielen aktuellen Bildern findet man HIER (M. Mertens in Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2021)
Ernst Neufert: bekannter Architekt des Neuen Bauens
Der Architekt Ernst Neufert zeigte hier konsequent auf, was in der Fabrik hergestellt wurde: Wellplatten aus Faserzement – und was man alles daraus machen kann, wie vielseitig die Anwendung dieses Baustoffs ist. Die Bauten sind eine gelungene Einheit von Form und Inhalt, unverstellt und „materialehrlich“. Es ist Architektur aus einem Guss. Auch ein funktionaler Industriebau kann ästhetisch und anspruchsvoll sein.
Betrachtet man Fotos aus den 1950er Jahren, so drängt sich einem die wohlwollende Bezeichnung „Ingenieurs Ästhetik “ auf, die der berühmte Architekt Le Corbusier auf einer Ebene mit der Baukunst sah. Leider sind die ehemals strahlend hellen Fassaden nach fast 70 Jahren etwas „angelaufen“.
Der Architekt des Eternitwerks ist weithin bekannt: Ernst Neufert (1900-1986) war Bauhaus-Schüler und später Büroleiter von Walter Gropius. Berühmt ist er auch wegen seiner Bauentwurfslehre, die er als Professor an der Technischen Hochschule Darmstadt schrieb.
Denkmalschutz: „Bauten für die Ewigkeit“
Der Name „Eternit“ leitet sich vom lateinischen Wort für „Ewigkeit“ ab. Industriebauten haben da gewöhnlich einen kürzeren Zeithorizont, vor allem, wenn sie geraume Zeit nicht genutzt werden und Plänen zur Weiterentwicklung eines Gewerbegebiets im Weg stehen. Gerade noch rechtzeitig, bevor die erste Abrissbirne zuschlug, hat die Landesdenkmalpflege die wichtigsten der prägenden Leimener Eternit-Gebäude Anfang Februar 2021 unter Denkmalschutz gestellt. Eine sichere Bank ist das allerdings nicht. Das Unternehmen hat im Sommer 2021 bei der Unteren Denkmalschutzbehörde Leimen einen Abbruchantrag für die denkmalgeschützten Hallen eingereicht.
Werk zur Herstellung von Zementfaserplatten
Farbenfabrik, Leerstand
Eternit-Wellplatten waren der bevorzugte Baustoff der 1950er und 60er Jahre- Heute sind sie wegen der Asbestbeimischung in Verruf geraten. Außerdem errichteten Häuslebauer damit oft lieblose Anbauten, die keine guten Erinnerungen wecken.
Die Faserzementplatte ist bereits seit 1900 auf dem Markt. Sie ist eine Erfindung des Österreichers Ludwig Hatschek, dem am Werk in Leimen eine Hatschek-Straße gewidmet ist. Als Material für die Dacheindeckung waren die Platten leichter, haltbarer, universeller einsetzbar und billiger als Ziegel, Schiefer oder Blech, und dazu noch feuerfest.
- 1900: Ludwig Hatschek vergibt Lizenzen zur Produktion in alle europäischen Länder, nach Russland, USA und Kanada.
- 1929: Gründung der Deutschen Asbestzement AG (DAZAG) in Berlin Rudow, später in Westberlin gelegen
- 1930: Die Gesundheitsgefährdung durch Asbest wird bekannt
- 1940: Produktion von Beton-Barackenteilen und Luftschutztüren für „kriegswichtige Zwecke“; Beschlagnahme großer Teile der Asbestbestände; Einstellung der Produktion
- 1949: Wiederaufnahme der Produktion und Umbenennung der DAZAG in Eternit AG
- 1953/54: Ansiedlung der Eternit AG mit zweitem Hauptsitz in Leimen
- 1954 bis 1957: In drei Bauabschnitten errichtet Ernst Neufert die große Produktionshalle mit Bürotrakt und Kantine.
- 1957 bis 1963: Lagerplatz und eine erste Lagerhalle, Werkstatt- und Sozialgebäude, Formerei und Pförtnerhaus, Rohstofflager, Büro- und Ausstellungsgebäude
- 1966: Farbenfabrik
- 1976 und 1980: wissenschaftlicher Nachweis der Gesundheitsschädlichkeit von Asbest.
- 1981: 16% Umsatzeinbruch zum Vorjahr., Entlassung von 1300 Beschäftigten (1/3 der Belegschaft). Grund: Flaute im Baugewerbe und die Asbestprobleme
- 1985: 50% der Produktion asbestfrei
- 1990: alle Eternit-Produkte für den Hausbau asbestfrei
- 1993: Asbestverbot in Deutschland (seit 2005 europaweit)
- 2001: Schließung des Berliner Werks (und Abbruch der denkmalgeschützten Produktionshallen 2009)
- 2003: Verlegung der Hauptverwaltung der Eternit AG nach Heidelberg
- 2007: Gründung der Eternit Akademie in Heidelberg als Fortbildungseinrichtung u.a. für Architekten
- 2016: Umwandlung der Eternit AG in eine GmbH
- 2017: Teile des Eternit-Geländes ungenutzt, Beginn der Planung für die Ausweitung des Gewerbegebiets.
- 2020: Eternit wird zu „Etex Germany Exteriors GmbH“. Verlegen des Unternehmenssitzes von Heidelberg nach Beckum.
- 2021: Am Standort Heidelberg arbeiten in der Farbenfabrik sowie in der Verwaltung rund 65 MitarbeiterInnen.
- 2021: Teile des Werks in Leimen werden unter Denkmalschutz gestellt.
- Dr. Melanie Mertens: Wellplatte und Sheddach - Die Eternithallen von Ernst Neufert in Leimen
In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2021 - journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/nbdpfbw/issue/view/5706
- Gernot Weckherlin: Rettet Neuferts Eternit-Hallen in Leimen! 2. März 2021 in Marlowes
- www.marlowes.de/rettet-neuferts-eternit-hallen-in-leimen/
- Wikipedia-Artikel zu Eternit GmbH: de.wikipedia.org/wiki/Etex_Germany_Exteriors
- Wikipedia-Artikel zu Ernst Neufert: de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Neufert
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