Die zwei hohen identischen Klinkerbauten im Stil der neuen Sachlichkeit am Eingang zum Stadtteil Luzenberg geben ihre Funktion nicht auf den ersten Blick preis. Die schmalen senkrechten Fensterbänder reichen fast über die gesamt Höhe der Fronten. Der zurückhaltende Bauschmuck mit herausgezogenen Klinkern an den Kanten der Gebäude könnt auch einem Sakralbau gut stehen. Es handelt sich jedoch um Gebäude der Energieversorgung: das Umspannwerk für die nördlichen Stadtteile von Mannheim, das 1928 in Betrieb ging.
An den langen Seiten der Gebäude wiederholen sich die hohen, schmalen Lichtöffnungen. Dazwischen liegen zwei Reihen von 13 hochkantigen Fenster, die zu Bändern zusammengefasst sind. Die Sprossen der Fenster und die Gesimse sind aus hellem Werkstein und bilden einen starken Kontrast zu den dunkelroten Klinkern der Fassade. Je nach Wetter erscheinen sie warm-rot bist violett-grau. Ein grünspaniges Fallrohr betont die Senkrechte. Die flachen Walmdächer ohne Überstand sind von Nahem nicht sichtbar. Die Gebäude wirken deshalb fast scharfkantig.
Verbunden sind die Gebäude durch einen recht unscheinbaren Eingangsbau: eine grau gestrichene Metalltür, auf der ein gelb-schwarzes Dreieck vor Hochspannung und Lebensgefahr warnt. Der Eingang mit seinen vier Stufen wirkt unauffällig. Ursprünglich war der Eingang mit einem markanten Säulenvorbau versehen, der vermutlich der knappen Gehwegführung zum Opfer gefallen ist.
An der Stirnseite des linken Baus sind hohe Gestänge angebracht, die offenbar mit der Oberleitung der Straßenbahnen in Verbindung standen. Ob die historisch anmutenden Schalthebel noch eine Funktion haben, ist fraglich. Jedenfalls sind sie mit Vorhängeschlössern gesichert.
Interessant ist die Bebauung in der Umgebung: genau gegenüber liegt der Lutzenberg-Wasserturm mit der 1914 angebauten Schule. Beides sind Gebäude aus der Ära von Richard Perrey, der einen sehr klassischen Historismus als Baustil gepflegt hat.
Umspannwerk für die Versorgung der nördlichen Stadtteile mit dem Strom, der im GKM hergestellt wird.
Für die MVV eine Schwerpunktstation W 1 und für die RNV ein Gleichrichterunterwerk W 110
Was sind Umspannwerke?
„Umspannwerke sind Verbindungspunkte zwischen den regionalen und den örtlichen Stromverteilern. In Umspannwerken (UW) wie dem UW1 in Mannheim wird Strom von Hochspannung (110.000 Volt oder 110kV) auf Mittelspannung (20.000 Volt oder 20 kV) transformiert. Das Hochspannungsnetz der MVV Netze verbindet insgesamt neun dieser Umspannwerke im Versorgungsgebiet Mannheim.
Die Mittelspannungsleitungen bilden das Rückgrat der lokalen Stromversorgung. In über 1.577 Netz- und Kundenstationen (Umspannstationen) im Versorgungsgebiet der MVV Netze wird der Strom von 20.000 Volt auf die Ortsnetz- und Niederspannung von 400 Volt transformiert. Von diesen Stationen führen die Leitungen schließlich zu den Anschlüssen in Haushalten und Betrieben.“ Pressemitteilung der MVV vom 02. Dezember 2021 | MVV investiert in die Versorgungssicherheit
Umspannwerke der 1920er Jahre
Während die heutigen Umspannwerke meist hohe, fensterlose Bauten sind, merkt man den Umspannwerken der 1920er Jahre durchaus einen gewissen Stolz auf das moderne Elektrizitätsnetz an.
- 1923 nahm das Großkraftwerk Mannheim als Erzeuger von Strom den Betrieb auf. Das bisherige Elektrizitätswerk am Industriehafen (1900) diente nur noch als ein Umspannwerk. Die Nachfrage nach elektrischem Strom war in den 1920er Jahren offenbar dermaßen gestiegen, dass weitere Umspannwerke in der sich ausdehnenden Stadt notwendig wurden.
- 1926 die Erneuerung des Umspannwerks in der Kepplerstraße
- 1925-1927 das Umspannwerk Rheinau
- 1928 das Umspannwerk Luzenberg
Alle drei Umspannwerke sind architektonisch im Stil der Neuen Sachlichkeit durchgestaltet worden.
Das Umspannwerk in der Kepplerstraße wurde 1989 abgerissen, nachdem ein neues Umspannwerk direkt daneben errichtet worden war. Das Luzenberger Werk ist nach wie vor in Funktion. Das Umspannwerk in Rheinau ist außer Betrieb und droht zu verkommen.
- Mannheim und seine Bauten 1907 -2002, Band 4, Herausgegeben vom Stadtarchiv Mannheim und Mannheimer Architektur und Bauarchiv e.V., Artikel von Andreas Schenk, S. 109
- Architekturführer Mannheim von Andreas Schenk, 1999