Seit fast 200 Jahren unterwerfen sie sich, ohne mit der Wimper zu zucken, dem jeweiligen Modediktat. Sie lächeln uns aus Schaufenstern entgegen- doch wer glaubt, er kennt sie, der täuscht sich: Schaufensterpuppen haben sich seit ihrem ersten Auftritt Mitte des 19. Jahrhunderts in den feinen Ateliers der Pariser Schneidermeister ebenso rasant verändert wie die Mode selbst.
Nostalgische und historische Schaufensterfiguren gelten daher als ausgesprochen wertvolle Sammlerobjekte. Begegnen sie uns heute zumeist auf das Wesentliche reduziert, nicht selten sogar gesichts- oder kopflos, wurden in früheren Zeiten realistische Darstellungen bevorzugt: die kühl blickende 1920er-Jahre-Schönheit oder in den 1950er-Jahren sogar Dickbäuchige und Karikaturfiguren.
Geschichte der stummen Mannequins
Eine große Sammlung solcher Schaufensterfiguren hat Wolfgang Knapp zusammengetragen. Der Mannheimer Kulturwissenschaftler und Kunsthistoriker betreut ein in Deutschland einzigartiges Projekt: den Aufbau eines Archivs und Museums zur Geschichte der Schaufensterfigur. Sozial-, Kunst- und Industriegeschichte sollen dabei spannend miteinander verflochten werden.
Das Vorhaben „Dauerausstellung“ ist zwar noch im Werden, doch aktuell widmet der Verein Industriekultur Rhein-Neckar - gerade von Mannheims Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz für sein ehrenamtliches Engagement als Schützer und Bewahrer der Kulturgüter der Region ausgezeichnet - den stummen Verkaufshelfern im Secondhand-Kaufhaus „Markthaus“ in Mannheim-Neckarau eine eigene Ausstellung mit vielen Fotos.
Darunter befindet sich eine Serie über die Herstellung und Kreation von Schaufensterfiguren in einem Mannheimer Betrieb. „Immer anziehend - Schaufensterfiguren in Kunst und Kommerz“ heißt sie und ist bis einschließlich 30. März geöffnet. Wolfgang Knapp wird am heutigen Freitag um 17 Uhr einen Vortrag zur Geschichte der Puppen halten und hat viel zu erzählen: „Wer sich ein wenig mit diesem Thema befasst, wird auch heutige Schaufensterpuppen mit ganz anderen Augen sehen“, betrachtet er die stummen Mannequins nicht als Mittel zum Zweck, um Mode zu transportieren, sondern als echtes Kulturgut. „Die Geschichte der Schaufensterfiguren spiegelt den Wandel der Schönheitsideale, von Moral und Zeitgeist, Sozial- und Industriegeschichte wider“, so Knapp, und dass die Figuren zugleich zu den wichtigsten Erfindungen visuellen Marketings zählen. Für die geplante Dauerausstellung sucht er derzeit nach Partnern und Sponsoren in der Metropolregion. Die Zusammenarbeit mit einem Museum hält Knapp für ebenso denkbar wie die Kooperation mit einem Partner aus der freien Wirtschaft.
„Das Deutsche Schaufensterfiguren-Museum beispielsweise in ein bestehendes Modehaus einzubetten - ein reizvoller Gedanke“, findet der Kulturwissenschaftler.
Von Heike Warlich-Zink