Joseph Vögele AG in Mannheim – heute Hochschul-Campus

Helle, rot-gelbe Klinkerbauten, die erkennbar über 100 Jahre alt sind, eine Vielzahl moderner Fabrikhallen, umschlossen von einer Backsteinmauer: So präsentierte sich das Werk der Vögele AG gleich neben dem Neckarauer Übergang. Das Firmenareal erstreckte sich über eine enorme Fläche, doch es reichte nicht mehr aus für den Weltmarktführer bei der Herstellung von Straßenfertigern. Der Standort wurde 2010 nach Ludwigshafen in einen Neubau verlegt.

Zwei der alten Industrie-Gebäude in Mannheim sind als Kulturdenkmale unter Schutz gestellt. Zeitweise waren sie vom Abriss bedroht, doch inzwischen sieht es so aus, dass Sie auf Dauer wieder neu belegt und belebt sind. Verschiedene Bildungseinrichtungen nutzen die Gebäude. Auf dem Gelände hat u.a. die Feuerwehr und der Katastrophenschutz einen ausgedehnten Bau erstellt. 

Verwaltungsgebäude

Das etwas unterhalb der Neckarauer Straße gelegene Verwaltungsgebäude wurde 1898 errichtet, zunächst als einflügeliger Klinkerbau im damals üblichen historisierenden Stil. Die repräsentative Hauptfront zeigt zum Werksgelände. In den 1920er Jahren wurde das Verwaltungsgebäude auf die doppelte Größe erweitert, diesmal im ebenfalls zeitgemäßen modernen Stil zwischen Reformarchitektur und Expressionismus. Durch rote Klinker und Pilaster ist die Fassade dezent dekoriert. Die zwei Flügel sind nach Westen durch einen niedrigen Bau miteinander verbunden. Kolorierte Bilder zeigen, dass zur Straße hin damals ein dekorativer kleiner Park angelegt worden war, der jedoch bereits in den 30er Jahren einem weiteren, etwas unproportioniert wirkenden Anbau gewichen ist. Die Fenster sind neuzeitlich.

Maschinenhaus

Das Maschinenhaus steht hinter dem Verwaltungsgebäude und ist von der Straße aus nicht in seiner vollen Pracht erkennbar, zumal ein kleiner späterer Anbau die untere Seite verdeckt. Es wurde 1912 als die Kraftzentrale erbaut. Der Backsteinbau mit flach geneigtem Dach hat große Rundbogenfenster, markante Lisenen und einen fein gestaffelten Konsolfries – ein klassischer Industriebau, wie man ihn heute nur in sehr wenigen Betrieben vorfindet. Der Dachstuhl besteht aus einer filigranen, original erhaltenen Stahlkonstruktion.

Hallenanlagen

Auf alten Stichen und Bildern der Fabrik ist erkennbar, dass sie über ausgedehnte Hallenanlagen verfügte, in denen die riesigen Produkte wie Weichen, Schiebebühnen, Drehscheiben und Rangieranlagen gegossen, geschmiedet und montiert wurden. Diese imposanten Hallen sind jedoch alle neuen Konstruktionen gewichen.

Bei dem großen Umbau des Stammsitzes in den Jahren 1979-81 wurde das Verwaltungsgebäude im Inneren modernisiert, das Äußere hingegen sorgsam instand gesetzt, um weiterhin als Repräsentationsgebäude des Traditionsunternehmens genutzt zu werden. In seinen stilistisch unterschiedlichen Bauphasen spiegeln sich auch die verschiedenen Etappen der Erfolgsgeschichte des Unternehmens.

Produkte

Der Schwerpunkt der Produktion liegt bei den Straßenfertigern, die als Rad- oder Raupenfertiger hergestellt werden. Über die Geschichte der Produktpalette informiert mit vielen Fotos die Webseite des Unternehmens. Es beschäftigte 2008 ca. 1.200 Menschen (mit Leiharbeitern).

Nutzung (ursprünglich)

Maschinenbauunternehmen

Nutzung (derzeit)

Hochschulcampus, Feuerwehr, Privatschulen, Bilfinger-Verwaltungsgebäude

Geschichte

Ulrich Joseph Vögele, der das Unternehmen 1836 gründete, stammt aus einer alten Mannheimer Familie, deren Vorfahren schon im Jahr 1690 für ihre Hofhammerschmiede bekannt waren. U.J. Vögele begründete seine eigene Schmiedewerkstatt in der Mannheimer Innenstadt und richtete seine Produktion von Anfang an auf Eisenbahnbedarf aus. Das war damals eine ungewöhnliche unternehmerische Weitsicht, denn die erste deutsche Bahnlinie war erst im Jahr zuvor -1835 - in Nürnberg eröffnet worden. Vögele lieferte bereits 1840 die Weichen und die sog. Herzstücke für die erste badische Eisenbahnlinie Mannheim-Heidelberg. Bald gehörten die Badische Staatsbahn und die Bayrische Staatsbahn zu seinen Kunden, später auch die Pfalzbahn und die Preußische Staatsbahn.

In den Quadraten Mannheims hatte die expandierende Firma nicht mehr genügend Platz, weshalb sie 1874 an ihren Standort am Neckarauer Übergang umzog. Mit 320 Arbeitern war sie damals der drittgrößte Arbeitgeber der Stadt. Der Sohn des Gründers, Kommerzienrat Heinrich Vögele, trat ins Werk ein und leitete das Werk mit „ausgezeichnetem technischen Verständnis“. Als äußeres Zeichen des Vermögens und der gesellschaftlichen Stellung ihres Inhabers baute er in der Nähe des Schlosses - in L5 / 6 - eine repräsentative Villa.

Seit 1870 produzierte Vögele auch Stellwerke, Schiebebühnen und Drehscheiben (z.B. für die Hauptbahnhöfe Frankfurt, Leipzig, Stuttgart, Mannheim und Danzig) 1890 war Vögele mit 5000 Stück jährlich der größte Weichenhersteller Europas; seine Weichen gingen in alle Welt.

Auch seine qualifizierte Arbeiterschaft band Vögele ans Unternehmen: Seit 1894 waren die Arbeiter krankenversichert, sie erhielten Gartenland zur Selbstversorgung (weil der Lohn offensichtlich nicht reichte) und für „Fabrikbeamte“ (heute Angestellte) wurden Wohnungen bereitgestellt. (Die Almenhofsiedlung gegenüber dem Werk wurde erst in den 1920er Jahren von der Gartenstadt-Genossenschaft unter Beteiligung der Firma Carl Benz und Cie gebaut.) Lohn und Gehalt – später Entgelt – wurden (und werden bis heute) in eigenständigen Haustarifverträgen ausgehandelt.

Weitere Familienmitglieder wie Dr. Ing. hc. Joseph Vögele und der Ingenieur Wilhelm Vögele stiegen um die Jahrhundertwende in die Leitung des außerordentlich erfolgreichen Unternehmens ein. Viele Patente wurden angemeldet und trotz wachsender Konkurrenz blieb die Firma vor allem wegen der Güte ihrer Erzeugnisse Marktführer. Viele größere Staatsbahnen bezogen ausschließlich Spezialweichen von Vögele, vor allem für Strecken mit Schnellzugverkehr. 1912 kaufte Vögele die benachbarte Mannheimer Eisengießerei- und Maschinenbauanstalt (MEMAG). Damit verfügte Vögele nicht nur über eine eigene Gießerei, sondern auch über ein Emaillierwerk. Das Betriebsgelände wuchs auf 100.000 m² an. Das Sortiment wurde ausgeweitet: Apparate aus Guss- und Schmiedeeisen für die Nahrungsmittelindustrie, Zerkleinerungsanlagen für Erz- und Kohlenbrecher, Schotter- und Sortieranlagen und Betonmischmaschinen.

1920, nach dem ersten Weltkrieg, erfolgte der nächste größere Schritt in der Firmengeschichte: Die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Jetzt waren es bereits 600 Beschäftigte. Gleichzeitig gründete man die Oberrheinische Industriegesellschaft Joseph Vögele & Co, die die Produkte in aller Welt vermarktete (Niederlassungen in Buenos Aires, Mexiko, Zagreb). Zu den Produkten gehören jetzt auch Maschinen für den Straßenbau. Nach Überwindung der Weltwirtschaftkrise, mit dem nationalsozialistischen Straßenbauprogramm, später mit der Kriegsproduktion, ging 1933 der steile Aufstieg des Unternehmens weiter. So wurde 1934 die Autobahn Mannheim-Frankfurt nicht nur mit viel Handarbeit, sondern auch mit Vögele-Straßenbaumaschinen erstellt. 1936 stiftete die Belegschaft (damals „Gefolgschaft“ genannt) der Firmenleitung eine Bronzetafel, die bis zum Umzug des Unternehmens – mit entferntem Hakenkreuz – ausgestellt war.

1939 beschäftigte Vögele 900 Mitarbeiter, während des Krieges dann mehr als 200 ausländische Zwangsarbeiter, viele von ihnen aus Russland und etliche aus Frankreich. Auf dem nahe gelegenen Paul-Billet-Platz (heute Standort der Maria-Hilf-Kirche im Almenhof) war ein Lager errichtet worden, in dem mehr als 500 ausländische ZivilarbeiterInnen (vor allem Russen und Russinnen) untergebracht waren, die bei der Heinrich Lanz AG, Joseph Vögele AG und Mohr & Federhaff arbeiteten. Im zweiten Weltkrieg wurden Teile des Werks durch Bomben zerstört, die nach dem Krieg zügig repariert wurden.

In den 1960er Jahren galt die Firma bereits wieder als führender Hersteller von Straßenbaumaschinen. 1996 verkaufte die Familie Vögele die Anteilsmehrheit an die Wirtgen GmbH. 2002 fand diese die letzten Anteilseigner ab und somit ging das einstige Familienunternehmen Vögele zu 100% zur Wirtgen - Gruppe. Die Börsennotierung der Aktie wurde eingestellt. 2004 holte man einen zuvor nach Slowenien ausgelagerten Produktionsbereich wieder nach Mannheim zurück. 2008 gab das Unternehmen bekannt, dass das Unternehmen nach Ludwigshafen verlegt wird, der Umzug wurde 2010 verwirklicht. Vorher wollte das Unternehmen den alten Standort völlig leer hinterlassen (in der Erwartung eines höheren Verkaufspreises) und klagte auf Aufhebung des Denkmalschutzes von zwei Gebäuden. Gegen das entsprechende Urteil des Verwaltungsgerichts gab es heftigen Protest und eine von unserem Verein  initiierte Unterschriftensammlung (mehr Informationen unter "Dateien"). Der neue Eigentümer war mit dem Erhalt der beiden Gebäude einverstanden.

Quellen:
  • „Mannheim und seine Bauten“, Mannheim 1906
  • Mannheim, das Kultur- und Wirtschaftszentrum Südwestdeutschlands, 1928, Hg. Mannheimer Stadtreklame
  • Städt. Ernährungs- und Wirtschafts-Amt Mannheim, 13.03.1945 Verzeichnis der Arbeiter-Gemeinschaftslager
  • Mannheim im Aufbau, Juni 1955, Werbeverlag Pichler und Casse, Mannheim (Fotos S. 144-146)
  • Lothar Jacob, Eine Idee macht Geschichte, 75 Jahre Gartenstadtgenossenschaft Mannheim 1910-1985
  • Mannheimer Morgen 24.12.09
Eigentümer
TriWo
Erbauer
Vögele AG
Architekt
Unbekannt
Bauzeit / Umbauten
1898, 1912 und neuzeitliche Anbauten
Autor*in
Barbara Ritter
Objektnummer
120
Adresse
Neckarauer Straße 168-228
68199 Mannheim
Geo
49.467831, 8.485069
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