„Das stattliche Gebäude befindet sich in der Industriestraße 6a und bildet in seiner schmucken Bauart eine angenehme Abwechslung zwischen den vielen Fabrik-Etablissements in dieser langgestreckten Straße“ – berichtet der Mannheimer „General-Anzeiger” am 13. Januar 1908 über die große Einweihungsfeier der Zentrale der Mannheimer Konsum-Genossenschaft. Wendelin Leonhardt – der Architekt – wird mit den Worten zitiert: „Zweckmäßigkeit und Schönheit (des Gebäudes) seien miteinander verbunden, so dürfe er wohl sagen, ohne sich zu loben...”. Man muss ihm Recht geben, denn das etwa 100 m lange im neobarocken Stil erbaute gelb gestrichene Verwaltungsgebäude mit seinen ehemaligen Lager-, Produktions- und Wohngebäuden, Stallungen und Remisen imponiert noch heute und fällt auch architektonisch auf.
Das seit 20 Jahren als Wohnheim für Flüchtlinge benutzte Haus weist noch einige bauzeitliche Besonderheiten auf; z. B. sind die Gitter an den Fenstern des Erdgeschosses bauzeitlich. Das martialische Stahltor ist dagegen neu. Reste des eleganten schmiedeeisernen Tores aus Konsum-Zeiten sind vor der Verschrottung gerettet worden und stehen in einem Mannheimer Garten.
Bis Ende 1981 Verwaltungsgebäude von Konsumverein und 'co op' mit Büros und Sitzungssälen, Zentrallager, Flaschenbier- und Limonadenabfüllerei, Bäckerei, Metzgerei, Kaffeerösterei und Sauerkrautfabrik.
Betreuung von Flüchtlingen
Die rasante Mitglieder- und damit Filialentwicklung des Mannheimer Konsumvereins ab 1900 machte die Suche nach größeren und logistisch günstig gelegenen Räumlichkeiten erforderlich, denn das erste Domizil in der Jungbuschstr. 21 platzte aus allen Nähten ! Nach nur 6jährigem Bestehen kaufte er im Gebiet des gerade neu eingeweihten Industriehafens ein 3.000 m² großes Areal an der Industriestraße, in das die Konsumzentrale schon Ende 1907 umziehen konnte. 1911 erwarben sie vom gleichen Besitzer Adolf Heymann – dem Begründer der heutigen „Huber Mühle“ – weitere 1.545 m² an der Pyramidenstraße.
Im Gegensatz zum 1866 gegründeten und 1875 in Konkurs gegangenen ersten Mannheimer Konsumverein, der sich mehrheitlich aus mittelständischen Mitgliedern zusammen setzte, fühlten sich jetzt Arbeiterfamilien angesprochen. Eine wesentliche Voraussetzung für ihren massenhaften Eintritt ab Anfang 1900 war das 1889 geänderte Genossenschaftsgesetz, das die unbeschränkte Haftpflicht (jedes Mitglied haftete bisher mit seinem Vermögen) beseitigte. Es war aber vor allem die Armut der in die Industriezentren gewanderten Menschen, es waren die schlechten und überteuerten Lebensmittel beim Krämer, die Boykottaktionen selbständiger Einzelhändler, die den Gründungsboom von Konsumgenossenschaften mit eigenen Handelsgesellschaften und Produktionsbetrieben überall in Deutschland auslösten. „Mitgliedschaft für Jedermann, Lieferung unverfälschter Ware mit vollem Gewicht, Rückvergütung, Barzahlung und politische und religiöse Neutralität“ waren ihre Leitlinien.
Der am 16. Dezember 1900 in Mannheim gegrünete Konsumverein hatte nach nur einem Geschäftsjahr schon 688 Mitglieder und eröffnete vier Verkaufsstellen, die erste ab 01.03.1901 in der Alphornstraße 1. Bis 1922 fusionieren die eigenständigen Konsumvereine Schwetzingen, Hockenheim, Kirchheim, Edingen, Eppelheim, Wallstadt und Ilvesheim mit dem Mannheimer Verein. 1925 kann er 24.317 Mitglieder und 53 Verkaufsstellen zählen, von letzteren allein 37 in Mannheim. Mit dieser Erfolgsstory, die sich auch in den zeitgenössischen Medien widerspiegelt, wird die Konsumgenossenschaft sozusagen für Jahrzehnte zum Feind von Lebensmittelhandwerk und Einzelhandel. Schon 1902 droht die Mannheimer Bäcker-Innung: „Die unterzeichneten Bäckermeister verpflichten sich gegen Ehrenwort und Konventionalstrafe von 300 Mark, an den Konsumverein weder Waren zu liefern, noch Konsumgeld an Zahlungsstatt anzunehmen.” Bei der Metzgerinnung sind es sogar 500 Mark!
In eigener Produktion geht es in den ersten zwei Jahrzehnten schnell zur Sache: Von einer Bierabfüllerei in der Böckstraße des Mannheimer Jungbusch über eine Limonadenfabrik, eine Dampfbäckerei und eine Kaffeerösterei in der Industriestraße bis zum Erwerb einer Zigarrenfabrik in Hockenheim und der pfälzischen Weinkelterei Schloß Ruppertsberg.
Höhepunkt genossenschaftlicher Produktion in Süddeutschland bleibt aber bis heute „Die genossenschaftliche Burg“ am Industriehafen auf der Friesenheimer Insel . Schon 1918 kaufte die 'Grosseinkaufsgesellschaft deutscher Consumvereine (GEG)' das Areal von der Stadt Mannheim und baute in den Jahren 1929 – 1931 das sog. Kaffeewerk, eine Mehlmühle, ein Teigwarenwerk und 1962 eine Papierwarenfabrik für den Eigenbedarf. Als Monument der ‚Neuen Sachlichkeit’ steht der Gesamtkomplex unter Denkmalschutz.
1939 übernimmt die „Deutsche Arbeitsfront“ Organisation und Vermögen, die Nazis bereiten den Konsumvereinen ein gewalttätiges Ende. Nach Kriegsende findet im November 1946 in der Mannheimer Universität die Gründungsversammlung der Konsumgenossenschaft Mannheim eGmbH. statt. Im Oktober 1948 gibt die Militärregierung die Vermögenswerte zurück. 95 Läden werden in Nordbaden schon wieder beliefert.
Nach Verschmelzung der Konsumvereine Mannheim und Ludwigshafen 1967 und der Übernahme des Filialunternehmens „Johann Schreiber GmbH“ 1969 ist 'co op Kurpfalz’ größter Einzelhändler im Rhein-Neckar-Raum. Bis Ende 1981 ist die Industriestraße 6a Sitz von Verwaltung, Zentrallager, Großmetzgerei und Backbetrieb - auch für „co op“. Hier finden alle wichtigen Treffen des Führungspersonals wie auch die betriebsinterne Ausbildung der Auszubildenden statt. Zum 1. 1. 1982 verlegt die neue 'co op Rhein-Neckar AG' ihren Sitz nach Ludwigshafen in die Maudacher Straße. Die Metzgerei mit Fleischzerlegung und Wurstherstellung bleibt noch bis etwa 1990 in den alten Räumlichkeiten. Der Backbetrieb wird sofort von einer Großbäckerei übernommen und dient bis Ende des Jahrhunderts zur Herstellung von „Golden Toast“.
Etwa 20 Jahre betrieb die Caritas hier ein Wohnheim für bis zu 800 Flüchtlinge und eine Rückkehrberatung. Seit 2014 ist hier die Landes-Erstaufnahmestelle (LEA) für Flüchtlinge angesiedelt.
- General-Anzeiger Mannheim Nr. 19 vom 13.01.1908
- Führer durch die Industrie- u. Hafenanlagen von Mannheim, Rheinau und Ludwigshafen; hrsg. von der „Rhein“- Verlags-Gesellschaft m.b.H., Duisburg-Ruhrort, 1909, S. 117
- 25 Jahre Konsum-Verein Mannheim, Mannheim, 1925
- Stadtarchiv Mannheim und Mannheimer Architektur- und Bauarchiv e.V., Mannheim und seine Bauten 1907-2007, Bd. 4,
- Andreas Schenk, Bauten für Verkehr, Industrie, Gesundheit und Sport, 2004, S. 65 -
- 75 Jahre co op Kurpfalz, Jubiläumsschrift, 1975
- Auf Achse und Schiene, 100 Jahre Nahverkehr in Mannheim, MVG, 1978 - Dokumente des Stadtarchivs Mannheim Zeitzeugen
A CENTRE FOR 128 SHOPS
COOPERATIVE WHOLSALE SOCIETY
Around 1900, all over Germany, workers were protesting against expensive and poor quality food. For this reason Konsumgenossenschaften (Cooperative Wholesale Societies) were founded all over Germany. "Genuine goods, fairly weighed and at realistic prices, payment by cash and reimbursement of the surplus, one member – one vote". These were the guidelines of the cooperative societies, which soon also produced their own food.
In 1906, the Konsumverein purchased the 3,000 square metre property. The Mannheim architect Wendelin Leonhardt, who usually built theatres, created – in his own words – a building which "melds together usefulness and beauty."
In 1908 the Konsumverein Mannheim built their Mannheim headquarters in an ornate Neo-Baroque style. It served as the administrative seat of the cooperative with offices and meeting rooms, with a central warehouse, a beer and soda-bottling plant, as well as a bakery, butcher, coffee roasting plant and a sauerkraut factory.
In a public statement, the master bakers of the City refused to supply the cooperative stores with bread and pastries. The consumer cooperative responded by setting up its own bakery in 1912.
In 1912, a further 1,500 square metres were added for a bakery and a coffee roasting plant. The centre was well connected to the transport network. The goods were unloaded from the railway wagons using ramps and stored in the warehouses. The tram stop "Pyramidenstraße" was located opposite the main entrance. In the courtyard of the building, trucks and horse carts were loaded up. They transported goods to outlets in the city.
The building was built using a modern frame construction. The concrete structure is visible inside, as can be seen here in the clean and spacious storerooms.
At the end of 1925 the Konsumverein had nearly 24,000 members and had 53 retail outlets in and around Mannheim. In 1933, the Nazis took over the management and, in 1939, integrated the cooperatives into military supply plans. In 1941 the Deutsche Arbeitsfront (German Labour Front) confiscated all the cooperative’s assets.
After the war it became evident that the cooperative idea had not been destroyed. Cooperative shops reopened, run on the original lines. From 1968 onwards, the stores were known as “co op” instead of the original Konsum, and they were the first self-service shops in Germany. Until the end of 1981, the building was the headquarters of the administration, with a central warehouse and a bakery. The story of almost all the Konsumgenossenschaften in West Germany ended, in 1990. This was the result of mismanagement and increased competition. The building is now an officially protected building and has been used as a refugee centre for some time.
VRN-Fahrplanauskunft: www.vrn.de
Die Gebäude sind von der Industriestraße aus gut sichtbar.