AOK-Gebäude Mannheim im Bauhausstil
Das Verwaltungsgebäude der AOK (Allgemeine Ortskrankenkasse) in der Renzstraße 11 – 13 bildet mit dem gegenüberliegenden und fast zeitgleich errichteten Theresienkrankenhaus von der Friedrich-Ebert-Brücke kommend ein markantes Entrée in die Innenstadt.
Während der im Dezember 1929 eingeweihte Krankenhausbau damals äußerlich einem Schloßbau ähnelte (in der Zwischenzeit mehrfach modern an- und umgebaut), ist die klar gegliederte Fassade des drei Jahre später bezogenen AOK-Gebäudes einem modernen Baustil verpflichtet, der auf die Lehren des Bauhauses zurückzuführen ist. Als Architekt zeichnete der Frankfurter Ernst Balser verantwortlich, die örtliche Bauleitung hatte der Mannheimer Wilhelm Platen. Dunkle Fensterbänder durchziehen die helle Mauer, so dass sich die beiden langen im 90-Grad-Winkel zueinander stehenden und mit einem Turmbau verbundenen Gebäudeflügel von weitem betrachtet durch eine markante Schichtstruktur von allen umliegenden Gebäuden abheben.
Kennzeichnend für den Bauhauscharakter des Bauwerks ist auch die Stahlbetonkonstruktion, die die Außenmauern stabilisiert (s. auch Geschichte). Die Nutzung des Gebäudes obliegt unverändert der AOK (heute AOK Rhein-Neckar-Odenwald). An der Südseite (Collinistraße) wurde das AOK-Grundstück mit einem 2007 eröffneten und unter privater Regie stehenden Ärztehaus bebaut, das äußerlich den Charakter des AOK-Gebäudes aufgreift und den zur Neckarseite gelegenen Bauriegel spiegelt.
Verwaltungsgebäude der AOK
Verwaltungsgebäude der AOK
Die Geschichte der AOK beginnt mit dem »Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter«, das am 1.12.1884 in Kraft trat, also mit der Einführung der Krankenversicherungspflicht. Danach nehmen die ersten Ortskrankenkassen (OKKs) ihre Arbeit auf. In Mannheim gibt es zunächst 11 nach Branchen getrennte OKKs (für Bau, Holz, Metall, Bekleidung, Nahrung, Druckerei, Handlungsgehilfen, Zigarren und Tabak, Transport, Bäcker und Metzger). Aufgrund der guten Wirtschaftslage und Ausdehnung der Versicherungspflicht wachsen die Mitgliederzahlen rasch (in den ersten 25 Jahren von rund 2.000 auf rund 30.000). Immer wieder gibt es Teilzusammenlegungen, bis schließlich 1934 alle OKKs in einer Allgemeinen Ortskrankenkasse zusammengeführt werden. Den zunehmenden Aufgaben entsprechend wächst auch der Raumbedarf. So wird bereits 1887 der Kauf eines Hauses und nachdem sich kein geeignetes Objekt finden lässt, der Kauf eines Grundstückes beschlossen, das an der Ecke Friedrichsring 28 und Rupprechtsstraße 2 (heutige Ifflandstraße) gefunden wird. Der vom Architekten Langheinrich im Barockstil erstellte Bau wird 1901 bezogen.
Mindestleistungen der AOK waren von Beginn an die freie ärztliche Behandlung, Arznei und Brillen, Heilmittel sowie Krankengeld bei Erwerbsunfähigkeit. Vom Gesetzgeber wurden die OKKs ab 1891 zusätzlich mit dem Einzug der Invalidenversicherungsbeiträge betraut, also der Rentenversicherung, damals noch im Markenklebeverfahren, das 1942 für versicherungspflichtige Arbeitnehmer in ein Lohnabzugsverfahren umgewandelt wurde. In Mannheim – und damit waren die OKKs hier modellhaft – gab es von Anfang an freie Arztwahl. Ab 1903 praktizierten hier 75 Kassenärzte, darunter 30 Spezialärzte.
Die Mitgliederzahl erhöhte sich bis 1927 auf etwa 60.000, so dass erneut eine räumliche Expansion anstand. So wurde in der Renzstraße ein Grundstück von 9.300 Quadratmetern erworben, das großzügig nicht nur die Verwaltung, sondern auch ein Institut für Röntgen-, Licht und Diathermiebehandlung, eine Zahnklinik, eine medizinische Badeanstalt, sowie ein Inhalatorium beherbergen sollte. Als Architekten wurden der Frankfurter Ernst Balser, der 1927 bereits den Neubau der Allgemeinen Ortskrankenkasse in seiner Heimatstadt geplant hatte, und der Mannheimer Wilhelm Platen bestellt, die mit ihrem Entwurf eines Eisenbetonskelettbaus mit Flachdach, Fensterbändern und Fassadenverkleidung aus hellen Keramikplatten im Stil der Neuen Sachlichkeit den ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen hatten. Umstritten war der 1930 begonnene Bau von Anfang an, zum einen aufgrund der hohen veranschlagten Kosten, die angesichts der zu diesem Zeitpunkt schlechten wirtschaftlichen Lage völlig überzogen schienen, zum anderen wegen seiner damals noch unüblichen Bauweise. So kam es zu einem vorübergehenden Baustopp, nachdem das Versicherungsamt die Genehmigung zur Verwendung von Krankenkassenmitteln teilweise aufhob. Das Gebäude wurde in abgespeckter Version als reines Verwaltungsgebäude weitergebaut und am 13.12.1932 bezogen.
Zwischen 1933 und 1945 übernahmen die Nationalsozialisten die Regie in der AOK, in der ein Großteil der Bevölkerung versichert war. Erklärtes Ziel war die Reduzierung der Beiträge der Versicherten. So wurde zunächst die Gebühr für den Krankenschein halbiert, später Einsparungen vorgenommen, um die Kassenbeiträge zu senken. Um die Kontrolle über die AOK zu erlangen, wurden 1933 die gewählten Organe der Selbstverwaltung aus Versicherten und Arbeitgebern aufgelöst und durch staatliche Aufsicht ersetzt zur »Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit«. Es wurden Kommissare eingesetzt und Gegner des Nationalsozialismus entlassen. Die Überprüfung der politischen und nationalen Zuverlässigkeit führte zu Einschüchterung und in der Folge vermutlich zu Anpassung. Von 69 Angestellten wurden 18 entlassen und durch bewährte Nationalsozialisten ausgetauscht.
In der Nacht der schlimmsten Bombenabwürfe über Mannheim, vom 5. auf den 6. September 1943, wurde auch das AOK-Gebäude beschädigt, wenn auch nicht selbst getroffen. Die zuvor viel kritisierte Bauweise erwies sich nun als Glücksfall, trugen doch die eisernen Tragpfeiler und Fundamente, so dass durch die Druckwellen der Bombendetonationen in der Nachbarschaft zwar die Fenster und Innenwände barsten, aber die Außenwände und das Dach fast unbeschädigt blieben.
Übrigens wurden in den sogenannten Hebelisten, in denen alle Versicherten mit Namen, Arbeitgebern, Beschäftigungsart und weiteren personenbezogenen Daten mit ihren Beiträgen zur Krankenversicherung und ab 1942 auch zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung aufgeführt sind, ebenfalls die Zwangsarbeiter erfasst, diese Listen sind also eine zuverlässige Quelle für diesbezügliche Recherchen.
1945 wurde das Gebäude wiedereröffnet, 1950 war der Wiederaufbau abgeschlossen.
Nach dem Krieg fehlten der Krankenkasse die Mittel. Zahlungen blieben aus und die Kosten durch die Kriegsfolgen für die vielen Invaliden und ihre Angehörigen waren immens. Durch die Währungsreform im Juni 1948 war zudem das restliche Vermögen der AOK über Nacht wertlos geworden.
Im Zuge der Entnazifizierung wurden im August 1945 80 Personen entlassen, von denen zwei Jahre später die Hälfte wiedereingestellt wurde. Bei 15 der 1933 Entlassenen wurde ein Wiedergutmachungsanspruch anerkannt.
1960 wurde die Schalter- bzw. Kundenhalle umfassend verändert, um im Sinne einer wachsenden Anspruchshaltung an Kundenfreundlichkeit für mehr Datenschutz und Individualität im Kundenkontakt zu sorgen. Seit 1962 gab es im Mannheimer Datenverarbeitungsbereich ein Lochkartenverfahren, ab 1966 erste elektronische Datenverarbeitungssysteme. Die Mannheimer AOK war mit ihrem System führend in der BRD. Die damit verbundene Notwendigkeit zur Zentralisierung brachte die bekannten Vor- und Nachteile mit sich. 1984 – zum hundertjährigen Jubiläum – wurde die Kundenhalle erneut völlig umgestaltet und Bildschirmtechnik eingeführt. Der bisher letzte Umbau im Innenbereich erfolgte 2011, während die Fassade, sieht man vom Überstreichen der Fliesenverkleidung ab, nahezu im Urzustand verblieben ist.
- Allgemeine Ortskrankenkasse: 100 Jahre Allgemeine Ortskrankenkasse Mannheim, 1984
- Monika Ryll: Bauhausarchitektur. Einzug der Moderne in Mannheim, Hrsg.: Rhein-Neckar-Industriekultur e.V., 2013
- Jürgen Treffeisen: Bedeutung der Zwangsarbeiteranfragen für die Stellung der Archive, Vortrag gehalten am 19.09.2001, Landesarchiv Baden-Württemberg
- Marchivum Mannheim
- Wikipedia