Arbeitersiedlung „Kiautschau“ Worms
In vielfacher Hinsicht ist diese Arbeitersiedlung in Worms eine Besonderheit des Arbeiterwohnungsbaus im Rhein-Neckar-Raum. Das geschlossene Bild, mit dem vom Stadtbaumeister Karl Hofmann entwickelten Landhausstil, der Erhaltungszustand des denkmalgeschützten Ensembles sowie der Name „Kiautschau“ heben das Viertel von anderen Arbeitersiedlungen ab.
Durch einen Torbogen zwischen Bebel- und Alicestraße kommt man in ein dörflich wirkendes, idyllisches Viertel mit schmucken Fachwerkhäusern, Vorgärten und Kopfsteinpflasterstraße. Die ländlich wirkenden Häuser sind als eineinhalbgeschossigen Krüppelwalmdachbauten mit Vorgärten und rückwärtigen ehemaligen Nutzgärten ausgeführt. Doppel- und Einzelhäuser sind verschieden angeordnet, so dass sie, trotz wiederholender Entwürfe, heute ein abwechslungsreiches und gleichzeitig idyllisches und geschlossenes Bild vermitteln.
Wohnhäuser
Wohnhäuser
Gründung als Aktiengesellschaft
Zwischen 1898 und 1914 wurde im Bereich Liebenauer Feld, damals außerhalb des Innenstadtgebietes, eine Arbeiterwohnsiedlung gebaut. Entstanden ist das Wohnviertel auf Initiative des Wormser Unternehmers Cornelius Wilhelm Freiherr Heyl zu Herrnsheim (1843-1923). Die Siedlung wurde einerseits auf Grundstücken der Cornelius Heyl AG errichtet, und andererseits durch eine „Aktiengesellschaft zur Erbauung billiger Wohnungen namentlich zum Besten von Arbeitern in Worms am Rhein“, welche Heyl 1897 – zusammen mit 29 Wormser Bürgern – gründete. Seine eigene Firma, die Heyl AG, hielt die Hälfte aller ausgegebenen Aktien. Der Rest wurde von der Stadt Worms, verschiedenen Banken und Unternehmen erworben, die damit auch Belegungsrechte für deren Arbeiter und Angestellten geltend machen konnten.
Landhausstil für Arbeiterwohnungen
Der damalige Stadtbaumeister Karl Hofmann (1856 – 1927), der mit seinem stadtbildprägenden „Nibelungenstil“ zu Bekanntheit und Ansehen gelangte, gestaltete bewusst ein ländlich anmutendes Wohnquartier mit Einzel- und Doppelhäusern, letztere oft mit vier Wohnungen. Die Fachwerkhäuser wurden im Landhausstil ausgeführt und fanden internationale Beachtung. Trotz geringer Wohnfläche sollte der Charakter einer Mietskaserne vermieden werden, mit kleinen Details wurden die Einheitsentwürfe von Hoffmann bewusst variiert. In Worms wurde der Haustyp auch nochmals in einer kleineren Heyl-Siedlung an der Schreinergasse in Worms-Hochheim aufgegriffen.
Erweiterung
Bis 1913 wurde die Siedlung sukzessive erweitert und bestand im Wesentlichen aus 91 Häusern mit Zwei-Zimmer-Wohnungen und 21 mit Drei-Zimmer-Wohnungen, also zusammen 224 Wohnungen der Wohnungsgesellschaft. Dazu kamen 42 Häuser mit 79 Familien, welche den Lederwerken gehörten. Die heutige Idylle trügt über die beengten Verhältnisse, denn insgesamt lebten dort rund 2.000 Personen. Die Wohnungen waren mit 37 m² bis 47 m² knapp bemessen, Gemeinschaftseinrichtungen, wie ein Kindergarten, wurden angedacht, aber nicht umgesetzt. Und der Anschluss an die städtische Kanalisation erfolgten aus Kostengründen erst nachträglich in den Jahren 1931 – 1934.
Die gesamte Siedlung steht seit 1991 als Denkmalzone unter Denkmalschutz.
Der Name
Eigentlich hieß die Arbeiterkolonie nach dem Flurnamen „Worms-Liebenau“. Vom Volksmund wurde aber umgehend der heute noch geläufige Name „Kiautschau“ zugewiesen, zu Ehren von Kaiser Wilhelm II. nach der, an der Südküste der Provinz Schantung (Shandong) der Volksrepublik China gelegenen Kiautschou-Bucht (chin. Jiāozhōu). Sie war von 1898 bis 1914 deutsches Pachtgebiet, das als Handels- und Flottenstützpunkt diente, mit der Hauptstadt Tsingtau. Etwa ein Dutzend Soldaten aus Worms waren in Kiautschou stationiert.
- Ferdinand Werner: Arbeitersiedlungen. Arbeiterhäuser im Rhein-Neckar-Raum. Beiträge zur Mannheimer Architektur- und Baugeschichte, Band. 8. Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms 2012.
- Fritz Reuter: Karl Hofmann und „das neue Worms“. Stadtentwicklung und Kommunal-bau 1882-1918. Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte, Band 91. Darmstadt, Marburg 1993.
- Landesamt Denkmalpflege (Hrsg.): Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Band 10: Stadt Worms. Bearb. v. Irene Spille. Worms 1992.
- www.worms-erleben.de/erleben/erleben-und-feiern/kultur/Geschichte/anekdoten/kiautschau.php
- www.worms-erleben.de/erleben-wAssets/docs/Sonstige-Flyer-Deutsch/Lederflyer_V-9.pdf