Bahninsel im Glückstein-Quartier MA
Der Begriff „Bahninsel“ umschreibt treffend die Situation von drei historischen Bahn-Gebäuden südwestlich des Mannheimer Hauptbahnhofs: Sie liegen derzeit inmitten einem Meer von Baustellen für das „Glückstein-Quartier“, einem neuen Stadtquartier im Stadtteil Lindenhof. Es handelt sich bei den Gebäuden um den alten Lokschuppen, das Werkstattgebäude und um eine kleine Fahrzeughalle, die sogar ihren Standort gewechselt hat.
Anfang 2016 wurden die beiden großen Gebäude aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt. Die Investoren Matthias Jarcke (Architekt), Dirk Kuchenbuch und Martin Köster (Chefs der Mannheimer Firma Krücken Organic GmbH) haben die Büros für ihre beiden Unternehmen im Lokschuppen eingerichtet. In das Werkstattgebäude ist „Hans im Glück“, ein Burger-Grill, eingezogen. Alle haben viel vom originalen Industrieflair erhalten.
Lokschuppen und Betriebswerkstätte
Die beiden gründerzeitlichen Gebäude gehören zu den ältesten Teilen des 1872 – 1876 errichteten (zweiten) Mannheimer Hauptbahnhofes, der auf der anderen Seite der breiten Gleisanlagen zu sehen ist. Durch den Lokschuppen führten früher drei Gleise von Ost nach West. Im Inneren hatte er drei Stände mit je 50 m Länge, die ursprünglich alle als Längsgruben gemauert waren, von denen Wartungsarbeiten von unten durchgeführt werden konnten. Sie sind jetzt mit Holzbohlen überbrückt.
Beide Gebäude sind 1872 in regelmäßigem Schichtenmauerwerk aus Buntsandstein errichtet worden. Von außen ist der Lokschuppen giebelseitig mit jeweils drei Einfahrten und großen Metalltüren ausgestattet, in der Mitte mit einem runden Fenster. Der Giebel ist am Ortgang mit Stufenornament verziert. Die langen Seiten sind in 11 Felder gegliedert, getrennt durch Lisenen. Das Dach ist mit einem gläsernen Lichtband im Firstbereich versehen, das viel Licht in die Halle lässt. Außerordentlich beeindruckend ist die Konstruktion des Daches mit seinen vielen Holzbalken und Verstrebungen- eine echte Herausforderung für die Umnutzung als Büros mit zwei Ebenen.
Die Betriebswerkstätte, ca. 10 Meter südlich und parallel zum Lokschuppen erbaut, ist dagegen ein lang gestreckter zierloser Funktionsbau. Auffallend sind die paarweise gruppierten großen Fenster. Die Erhaltung und Nutzung beider Gebäude war eine langjährige Forderung der Bürger-Interessen-Gemeinschaft Lindenhof (BIG) und anderer Vereine.
Die historische Schienenfahrzeughalle
(ausführlich beschrieben siehe Download) hat eine besondere Geschichte, denn sie stand ursprünglich auf dem Gelände der heutigen Glücksteinallee und wäre beinahe abgerissen worden. Nachdem die Stadt Mannheim die Bahninsel von der Bahn AG abgekauft hatte, haben sich einige Lindenhofer Bürger, insbesondere Herr Harald Baumann für den Erhalt des historischen Gebäudes durch Abtragung und Wiedererrichtung ausgesprochen. Die Stadtverwaltung begrüßte die Bürgeraktion und ließ Lkw-Auflieger zur Einlagerung der wichtigen gesäuberten Bauteile und Baustoffe bereitstellen. Die Arbeiten wurden von 8. Juni bis 9. Dezember 2009 in ehrenamtlichem Engagement durchgeführt (Vergleiche hierzu die als Download beigefügten Dokumente). Die ehemalige, mit 100 m2 sehr kleine Schienenfahrzeughalle weist von allen drei Gebäuden die architektonisch detailreichste Fassade aus Vormauerziegeln und Sandsteinen auf. Die Fenster sind aus Guss- und Schmiedeeisen mit floralen Verzierungen, die auf Jugendstil hinweisen.
Lokschuppen, Werkstatt, Fahrzeughalle, Büros und Geräte des Fahrleitungsbetriebes
Büros und Gastronomie
In den Gebäuden wurden ab 1872 die Reparaturen an den 18 Lokomotiven, 98 Personenwagen, 200 Güterwagen und 4 Dampfkranen des damaligen Mannheimer Bahnhofes durchgeführt. Dazu kamen Reparaturen an ca. 40-50 „fremden Lokomotiven“, die jedoch weitgehend von deren eigenem Personal bewältigt wurden.
Die Arbeiten in der Betriebswerkstätte geschahen unter Aufsicht eines Werkmeisters und zweier Werkführer. In der Werkstatt und im Lokschuppen waren zahlreiche damals neuartige große Werkzeuge und Kraftübertragungsanlagen installiert, darunter auch ein stehendes Lokomobil und eine Saug- und Druckpumpe mit 6.5 m Brunnentiefe.
Die beiden Gebäude waren 1872 die ersten Gebäude im bis dahin weitgehend unbebauten Lindenhof (es gab einige Höfe und Betriebe, eine Gasanstalt und Lanz baute die Gießerei auf). 1888 hatte der Lindenhof bereits 1870 Einwohner, aber noch keine Wasserversorgung aus der Stadt. Deshalb mussten die Lindenhofer Bürger am Brunnen der Bahn einmal in der Woche unter polizeilicher Aufsicht ihre Wochenration an Trinkwasser abholen. Nur der Lokschuppen ist denkmalgeschützt.
Weder die Zeit der Erbauung der kleinen Fahrzeughalle, noch ihr ursprünglicher Zweck sind eindeutig geklärt. Es deutet viel darauf hin, dass sie erst um 1900 als Schienenfahrzeughalle gebaut wurde, denn das Gebäude hatte sogar Gleisanschluss. Andererseits war das Gebäude so niedrig, dass es mit üblichen Dampflokomotiven nicht durchfahren werden konnte. Bis zu seiner Auflassung nach dem 2. Weltkrieg, in dem es stark beschädigt wurde, diente das Gebäude nach Aussage eines früheren Bahnmitarbeiters als Schmierstofflager. Bis zu ihrer Abtragung im Jahr 2009 war sie vollständig mit wildem Wein überwuchert. Danach verbrachten die Steine zehn Jahre im Container. Im Jahr 2020 wurde die Halle zwischen den beiden anderen Gebäuden mit einem Betonkern wieder aufgebaut.
Informationstafel der BIG-Lindenhof am Lokschuppen Informationen von Herrn Harald Baumann (Siehe Schreiben als Downloads)