Brillux im Industriehafen Mannheim
Diese Fabrik wurde im Februar 2016 abgerissen. Wir dokumentieren dennoch ihre Geschichte.
Das schmucke Anwesen wurde als Pflanzenbutterfabrik und Tafelöl-Raffinerie gegründet. Doch weitaus längere Zeit wurden hier Farben produziert und vertrieben. Natürlich auch Öl-Farben. Direkt am Fuß der Diffené-Brücke liegt das weiß getünchte Anwesen der Firma Brillux. Die Häuser, die im rechten Winkel zueinander stehen, wirken aufgrund ihrer Walmdächer und Rundbogenfenster würdevoll und fast sakral, jedenfalls sehen sie völlig anders aus als die benachbarten Industriebauten am Hafen.
Die Fenster sind graublau umrandet, unter dem Verputz sind die Backsteine noch gut zu erkennen, an den Rändern sind die Fassaden mit Lisenen betont. Besonders fällt der getreppte Schmuck-Giebel zur Straßenseite ins Auge, denn diese architektonische Raffinesse ist in Mannheim nicht häufig zu finden. Der große Bau entlang der Wasserseite weist eine Reihe von kleineren Rundbogenfenstern im ersten Obergeschoss auf. Die Dachkonstruktion mit den aufgesetzten Oberlichtern ist schon auf ganz frühen historischen Fotos zu erkennen.
Vor der Einfahrt zum Hof muss die Eisenbahnlinie überquert werden, die noch heute benutzt wird. Von hier aus kann man sehen, dass im Vergleich zur Straße die Bahnbrücke tiefer liegt. Ein zweites Gleisbett der ehemaligen Hafenbahn umgrenzt das Grundstück zu einer dreieckigen Insel.
Im Hof dominiert ein drei Stockwerke hoher Neubau. Auf historischen Fotos sind an dieser Stelle nur flache Werkstätten auszumachen. Die Firma Brillux – der Vertrieb eines Farbenherstellers aus Münster – ist seit über 25 Jahren hier ansässig. Vorher war hier ebenfalls eine Firma für Farben- und Lacke tätig sowie die Malereinkaufsgenossenschaft. Aufgebaut wurde das Anwesen jedoch als Ölraffinerie für Tafelöle und als Palmbutterfabrik.
Pflanzenbutterfabrik und Tafelöl-Raffinerie
Verkaufsfläche und Lager der Farbenfirma Brillux und deren Mieter
Die Pflanzenbutter-Fabrik
1906 ist laut Adressbücher der Stadt Mannheim noch kein Gebäude angesiedelt, es gibt noch nicht einmal die Diffene-Straße als Adresse. 1907 wird in der Festschrift zur Einweihung des Industriehafens die Firma von „A. Kaufmann Söhne, Pflanzenbutterfabrik und Öl-Raffinerie“ erwähnt, die am Ende des Hafens den Bauplatz von 6453 qm Fläche erworben hat.
1908 findet man unter der Adresse Diffené-Straße 11-13: „A. Kaufmann Söhne, – Fruchtinfabrik“. „Fruchtin“ ist eine alte, heute nicht mehr geläufige Bezeichnung für Kokosfett. „Fruchtin“ steht in großen Lettern auch auf dem Fabrikschornstein, der mitten im Hof stand. Der Führer durch die Industrie- und Hafenanlagen von Mannheim von 1909 bezeichnet A. Kaufmann Söhne als „Pflanzenbutterfabrik und Öl-Raffinerie“. In eigenen Darstellungen auf Briefköpfen preist sich die Firma als „das älteste und bedeutendste Spezialhaus feinster Tafelöle“ an, das auf 10 Goldmedaillen stolz sein kann in den Städten „Berlin, London. Paris, Brüssel, Wiesbaden, Düsseldorf, Stuttgart“. Das „vegetabil. Fruchtin“ wird als „vollkommenster Butterersatz“ vermarktet.
Die Briefköpfe zeigen keine Firmenansicht. Auf frühen Fotos der Diffené-Brücke ist jedoch zu erkennen, dass der gesamte Gebäudekomplex schon sehr früh genau in der Weise gebaut wurde, wie er heute noch steht.
Für koscheres Essen
Durch einen freundlichen Hinweis vom Weinheimer Stadtarchiv ist die Geschichte der Pflanzenbutter-Fabrik um eine weitere Fassette erweitert worden:
Schon in Weinheim hatten Leopold und Berthold Kaufmann um 1900 das Bratfett „Fruchtin“ produziert. Es wurde dort unter der Aufsicht eines Rabbiners aus Kokosfett koscher hergestellt und war damit für jeden jüdischen „rituell geführten Haushalt unentbehrlich“, so in den Annoncen in der orthodoxen jüdischen Zeitschrift "Der Israelit" (z.B. vom. 19. September 1901).
„Koscher - Fruchtin - Zum Backen und Braten. Unter Aufsicht des Herrn Rabb. Dr. Schiffer, Karlsruhe, ist das beste, billigste und ausgiebigste Pflanzenfett für Milch und Fleischspeisen; in jedem rituell. Haushalt unentbehrlich. Hergestellt von A. Kaufmann Söhne, Weinheim in Baden. Wo nicht vertreten direkt Versandt von 4 1/2 Ko. Postcolli. Proben gratis. Wiederverkäufer gesucht."
Eine solche Anzeige bedeutet noch nicht zwingend, dass die Unternehmer selbst jüdischen Glaubens sind. Auch für „Palmin“ sind in dieser Zeitschrift Annoncen zu finden. Es werde unter Aufsicht eines Rabbiners produziert. Die Werbung schaltete ein Vertreter aus Frankfurt. Der Unternehmer - Heinrich Schlinck - war definitiv nicht jüdisch. Berthold Kaufmann war jedoch sicher jüdischen Glaubens und sogar 1906 in Weinheim Mitglied des Synagogenrates.
Schlinck spielte noch eine weitere Rolle für die Pflanzenfettherstellung am Industriehafen: 1911 zieht er mit seiner 1903 gegründeten Fabrik als die große Konkurrenz ans andere Ende - in die Friesenheimer Straße. Seine Margarinefabrik „Estol“, die das Kokosfett „Palmin“ herstellt, ist um ein Vielfaches größer und moderner als die Fruchtinfabrik.
Vermietungen der Fabrik
Die Pflanzenbutter-Fabrik von Kaufmann übersteht den Ersten Weltkrieg, aber bereits Mitte der 1920er Jahre stellt sie den Betrieb ein. Die Familie Kaufmann vermietet das Anwesen an die OSSAG – „Oelwerke Stern-Sonnenborn AG“, ein bekannter Schmierstoffhersteller. Diesen Namen kann man auf dem Foto von 1927 auf der Fassade des Hauses erkennen. Die jüdischen Besitzer Leo und Richard Stern und Jaques Sonnenborn hatten ihr Unternehmen bereits 1925 an die Benzinwerke Rhenania, das deutsche Tochterunternehmen der Royal Dutch Shell verkauft.
Angesiedelt ist zwischenzeitlich auch die „Mabeg Asphalt und Betongesellschaft“ mit einem Lagerplatz, die sich offenbar nur kurz dort hält.
Berthold Kaufmann ist 1931 gestorben. Seine Witwe Sofie Kaufmann verkauft im Zuge der Arisierung das Gelände und die Bauten an Herrmann Günther für seine „Güntoplast, Lack- und Farbenfabrik GmbH“. Auch die Malereinkaufsgenossenschaft siedelt sich hier an.
Brillux: Farbenhersteller und Direktvertrieb
1985 übernimmt das traditionsreiche Münsteraner Familienunternehmen Brillux die Gebäude. Brillux benutzt nicht alle Räumlichkeiten selbst, sondern vermietet an unterschiedliche Unternehmen weiter.
Die Firma Brillux blickt selbst auf eine lange Firmengeschichte zurück: sie wurde 1889 in Münster als „Hobrecker & König“ – ein Farben und Malerzubehör-Handel – gegründet. Erst 1948 nahm sie die eigene Produktion von Lack- und Dispersionsfarben auf. Heute befindet sich Brillux in vierter Generation im Besitz der Familie König. In Mannheim werden die Eigenprodukte nur an gewerbliche Maler und Handwerker verkauft. Mit 12.000 Produkten im Bereich Farben und Lacke bietet Brillux alles, was das Maler- und Lackierergewerbe braucht. Die Produktion findet in vier eigenen Werken in Münster, Unna, Herford und Malsch bei Karlsruhe statt. Mit mehr als 160 Niederlassungen in Deutschland, Niederlande, Österreich und der Schweiz ist Brillux als Direktanbieter (d.h. Verkauf eigener Produkte) Marktführer.
Der Abriss des gesamten Geländes wird damit begründet, dass die Räume „zu verwinkelt“ und „nicht ebenerdig” seien und nicht mehr den Bedürfnissen der Firma entsprächen. Die Gebäude standen nicht unter Denkmalschutz.
- Dr. Sigmund Schott, Der Industriehafen zu Mannheim 1907
- Adressbücher der Stadt Mannheim
- Führer durch die Industrie- u. Hafenanlagen von Mannheim, Rheinau und Ludwigshafen; hrsg. von der „Rhein“- Verlags-Gesellschaft m.b.H., Duisburg-Ruhrort, 1909
- Adressbücher Mannheim und Weinheim
- Informationen des Stadtarchivs Weinheim und Mannheim
- Der Israelit, 1901