Ehem. Chemie-Fabriken - heute Hotel „Corniche“ und Boulderhalle
Ziemlich genau 100 Jahre lang wurden an diesem Standort haushaltsnahe chemische Produkte hergestellt: Links die einst berühmte Pilo-Schuhcreme, rechts Glyzerin und ab 1950 chemische Hilfsmittel für die Textilindustrie. Heute sind in den weiß gestrichenen Backsteinbauten ein Gewerbepark und das Corniche-Hotel ansässig.
Von der sehr bewegten Geschichte dieses Geländes ist nicht mehr viel im bauzeitlichen Zustand. Krieg und vielfache Umnutzung sowie Abrisse und Erweiterungen haben das Gesicht der alten Bauten stark verändert. Was heute ein Gewerbepark mit Hotel ist, war früher der Standort von sehr unterschiedlichen Chemiebetrieben: eine Schuhwichsefabrik, eine Glyzerinfabrik und eine chemische Fabrik für Textilzuschlagstoffe.
Auf diesem weitläufigen Gelände mit seinen sehr unterschiedlichen Bauten rund um das Hotel Corniche fallen zunächst die historischen, weiß gestrichenen Backstein-Gebäude an der Straße auf. Sie haben einen wuchtigen Sandsteinsockel, und es sieht so aus, als seien sie nach dem Krieg nicht wieder komplett aufgebaut worden. Die Gliederung der Fassade zur Straße lässt vermuten, dass sie in den 1920er Jahren gebaut wurden. Auch das zweite flachere Gebäude, das wohl eher in den 1960er Jahren aufgebaut wurde, hat einen älteren historischen Sandsteinsockel. Diese Gebäude gehörten zu den Pilo-Schuhcreme-Werken. Am Rand einer großen Freifläche stehen zum Wasser hin große modernere Lagerhallen aus den 1970er Jahren.
In der Mitte des Geländes sind in Richtung Hafen noch einige über 100 Jahre alte, weiß gestrichene Backstein-Gebäude mit ihren abgestuften Sattel-Dächern und den regelmäßigen Segmentbogenfenstern zu erkennen. Die Fensterbrüstungen sind aus Sandstein. Diese Gebäude gehörten zu der Glyzerin- und Fettsäurefabrik, die 1903 gebaut wurde.
Auf der rechten Seite gruppieren sich bis zur Straße nur neuere Bauten vermutlich aus den 1960er-80er Jahren. Sie wurden von der chemischen Fabrik Rotta als Erweiterungen und Modernisierungsmaßnahme errichtet. Rotta nutze ab den 1980er Jahren alle Gebäude auf dem kompletten Gelände.
Chemische Fabriken für Schuhceme, Glyzerin und Fettsäure und Textilzuschlagmittel
Gewerbepark mit sehr unterschiedlicher gewerblicher Nutzung Hotel und Gaststätte, Boulderhalle
Geschichte der Pilo-Werke in der Industriestraße 37
Seit 1901 ist die „Fabrik für chemische Produkte“ von Adolf Krebs am Industriehafen an diesem Standort angesiedelt (der zunächst Nr. 25, später Nr. 37 genannt wird). Krebs war ursprünglich aus Gundelsheim (Neckar) nach Mannheim gekommen. In Gundelsheim führte er eine Mineralöldestillation und Öl- und Fetthandlung.
Briefköpfe von Rechnungen aus dem Jahr 1904 und 1908 zeigen das Wachsen der Fabrikanlage am Industriehafen. Es muss sich um ein großes Werk gehandelt haben. Das Grundstück ist 13.000 qm groß, davon sind 8.000qm bebaut. Es gibt neben zwei langen Hallen offenbar auch ein repräsentables Geschäfts- und Wohnhaus auf dem Grundstück. Von diesen Gebäuden ist heute nichts mehr zu sehen.
Die Marken-Produkte
Im Adressverzeichnis wird näher erklärt “Schuhfett- und Wichsefabrik“, Metallputzpomade Muzzi, Metallputzwasser Krebsol, Parkettwichse, Bodenöl, Galopp-Creme Pilo, Lederputz- und Schuhcreme Gallopin, Krebswichse, Krebsfett. 1906 hat das Unternehmen insgesamt 70 Beschäftigte, 20 davon Angestellte.
1907 lässt Adolf Krebs unter den Nummer 1553 ein Markenzeichen eintragen, das 1919 erneuert wird unter 3134. Es ist ein Kreis mit dem Schriftzug Galop-Creme und Pilo und ein Bild von einem Flusskrebs. (Es ist kein Hinweis auf Schuhcreme darauf). Die Firma stellt neben Schuhcreme auch Lacke und Beizen, Putzmittel und Konservierungsmittel her.
Die Witwe als Unternehmerin
1920: Offenbar ist Adolf Krebs inzwischen gestorben und seine Witwe Emma Krebs, wohnhaft in der noblen Oststadtadaresse Otto-Beck-Str. 45, führt das Geschäft fort. Es wird im Adressverzeichnis jetzt als „Leder- und Metallputz, Parkettwichse-Fabrik“ geführt. Als Eigentümer ist die Witwe angegeben. Der Betrieb erzeugt seine Elektrizität selbst durch Dieselmotoren und durch eine Dampfmaschine. 1929 betreibt er eine eigene Kühlanlage.
1930: Weiterhin ist die Witwe Krebs Eigentümerin des Anwesens, das jetzt als „Krebs, A. Schuh- und Bodenpflege-mittel“ geführt wird. Auf dem Geländer sind zwei Vertriebsgesellschaften ansässig: „Colni-Gesellschaft f. fachgemäße Schuhpflege“ und „Dr. Zerr & Co, Großvertrieb v. Schuhpflegemitteln.
Aus alten Werbeanzeigen, Reklamemarken und Emailschildern ist erkennbar, dass es die „Pilowerke Adolf Krebs“ in Mannheim und in Saarlouis gegeben hat, außerdem in Luxemburg in der Wedelstraße 4, Luxemburg – Bahnhof. Dort war schon mindestens seit 1918 eine andere Schuhcrème-Fabrik Schaafs - Wolter, ansässig gewesen, die vermutlich vom Pilo-Werk gekauft wurde.
Übernahme durch Thompson
1936: Die Firma Thompson übernimmt das Pilo-Werk, 1938 wird es als „Zweigwerk Mannheim“ in die Thompson-Werke integriert. Grundeigentümer in Mannheim sind aber offenbar noch mindestens bis 1940 die „Pilo-Werke GmbH Adolf Krebs“. Im Zweiten Weltkrieg (vermutlich 1943) wird das Werk stark zerstört. Auch der Gleisanschluss ist durch einen Volltreffer auf die Drehscheibe unbrauchbar. Dem Kriegsschadensplan (Stadtarchiv Mannheim) ist zu entnehmen, dass für das Werk inzwischen offenbar ein weiteres Gebäude bis an die Straße heran gebaut worden war, was bis heute noch weitgehend erhalten ist.
1951 steht auf dem Briefkopf der Thompsonwerke nur noch „Fabriken chemischer Produkte“. Thompson stellt haushaltsnahe Reinigungsprodukte her, darunter auch die Schuhcreme Pilo. 1970 erwirbt die Firma Henkel (Düsseldorf) das Gelände und das Werk von Thompson-Siegel. Henkel baut auf dem Gelände direkt neben der Bettfedernfabrik ein Auslieferungslager, das heute noch steht.
In den 1980er Jahren kauft die benachbarte Firma Rotta (siehe unten) das Gelände und reißt einige ältere Gebäude ab.
Geschichte der Fettsäure- und Glyzerin-Fabrik GmbH auf Nr. 39
1903 gründeten 32 Seifenfabrikanten aus dem süddeutschen Raum (sie sind bisher nicht namentlich bekannt) die „Fettsäure- und Glycerin-Fabrik GmbH“ für die gemeinschaftliche Weiterverarbeitung und Verwertung des bei der Seifenproduktion anfallenden Glyzerins. 1905 leistete sich das Werk schon Destillationsanlagen zur Gewinnung von Reinglyzerin für Labor- und Apothekenzwecke und für die Fabrikation von Sprengstoff. 1915 kommt eine Anlage zur Stearin-Herstellung hinzu. 1922 hat die „Fettsäure- und Glycerin-Fabrik GmbH“ auch eine Adresse in Berlin (Dorotheenstraße 36).
Am 28. 7. 38 wird das Grundstück und die Fabrik von den Scheidemandel- Motard-Werken (Berlin, ebenfalls Dorotheenstraße) übernommen. Die bekanntesten Produkte der Scheidemandel-Motard-Werke sind Leim, Gelatine und Stearinkerzen. In Mannheim wird weiter Glyzerin produziert. Aus Rentabilitätsgründen wird die Glyzerinanlage 1963 von Mannheim nach Offenbach verlegt (Die Zeit 17.5.1963).
Ab den 1950er Jahren arbeiten die Scheidemandel-Motard-Werke eng mit der Familie Rotta zusammen, die auf dem Gelände eine neue chemische Fabrik aufbauen.
Geschichte der Chemischen Fabrik Rotta
Neuanfang im Westen
Die chemische Fabrik Rotta aus Zwickau kommt 1950 auf dem Gelände der Glyzerinfabrik hinzu. 1884 gegründet, war sie Herstellerin von Appreturmitteln und Textilseife, die sie europaweit verkaufte. Sie wird 1947 unter der sowjetischen Besatzung entschädigungslos enteignet. Nach Mannheim kommt Dr. Walter Rotta aus einer persönlichen Bekanntschaft mit Scheidemandel. Als Kommanditgesellschaft baut er die Produktion in Mannheim neu auf: mit der Scheidemandel-Motard-Werke Aktiengesellschaft als Kommanditist und Rotta als Komplementär.
Die Welt der Textilhilfsmittel
Das Portfolio von Rotta ist 1957: Textilhilfsmittel, Appretur, Imprägnierung, Hochveredelung, Konservierung, Avivage (Glanz verleihen), Flammschutz; Tapeten und Papierveredelungsprodukte. 1959 erstreckt sich Rottas Fabrikationsprogramm für die Textilindustrie auf Kunstharze, Hydrophobierungsmittel, Weichmacher, Appreturmittel, Antistatika und textile Konservierungsmittel. Für die papierverarbeitende Industrie stellt Rotta Hydrophobierungsmittel und Plastika für die Oberflächenveredelung her; daneben Bauschutzmittel auf Silikonbasis.
Textilhilfsmittel sind ungeahnt vielfältig. Sie sind ein alter Teil der industriellen Chemie. Chemikalien und Farbstoffe für die Textilindustrie standen beispielsweise auch am Beginn der Badischen Anilin- und Soda-Fabrik (BASF).
1966 wird die Glyzerinfabrik stillgelegt. Die Firma Rotta baut etliche Neubauten auf dem Gelände, benutzt aber auch noch die alten Sched-Dach-Bauten. Dr. Götz Rotta, Sohn von Walter Rotta und Enkel des Gründers übernimmt die Leitung.
International führender Spezialist
1984 feiert das Unternehmen sein 100-jähriges Jubiläum mit viel Prominenz bei einer großen Veranstaltung im Heidelberger Schloss. Das Werk Mannheim hat jetzt 60 Mitarbeiter, einschließlich der Mitarbeiter im Außendienst und weitere 40 Mitarbeiter in Werken in Italien, Spanien, Frankreich, Brasilien. Rotta gehört jetzt zu den international führenden Spezialisten der Textilchemie. Etwa 300 Produkte werden hergestellt, die beispielsweise Hemden bügelfrei, Vorhänge schwer entflammbar oder Tischdecken schmutz- und wasserabweisend machen. Hinzu kommen Schmelzkleber für die Auto- und Elektroindustrie.
Expansion bis 1990
Ca. 1990 Übernahme des Nachbar-Grundstücks Nr. 37 von Henkel. Beim Abbruch einiger Ruinen aus dem Zweiten Weltkrieg werden immer noch Bomben gefunden.
1991 Rotta hat jetzt 300 Mitarbeiter, der Jahresumsatz beträgt 80 Mio DM. Dr. Götz Rotta nimmt nach der Wende die Kontakte zu Zwickau wieder auf. Das dortige Werk, das von der Fettchemie GmbH weiter geführt worden war, wird reprivatisiert. 1991 hat die Firma Rotta Werke außerdem in Mailand-Caronno, Colmar, Barcelona, São Paulo, Istanbul und Basel.
Auswirkungen der Globalisierung
In den 1990er Jahren wird die Textilindustrie immer mehr nach Südostasien verlagert, die sich dort auch mit eigenen Textilchemie-Fabriken versorgen. Damit bricht auch der Markt für Rotta stetig weg. Rotta stellt im Mai 2004 einen Insolvenzantrag und wird im November des gleichen Jahres von Dystar übernommen, einem Hersteller von Chemikalien für die Textil- und Papierindustrie. Dystar ist die ausgegliederte Textilfarbenfirma von Bayer und Höchst, und später Mitsubishi. Dystar hat kein Interesse an der Weiterführung des Betriebs. Auch, weil Altlasten auf dem Gelände befürchtet werden. Der Standort in Mannheim wird aufgelöst, 50 Arbeitsplätze werden nach Ludwigshafen und Frankfurt verlagert.
2008 kauft Dimitrois Giarenis das Rotta-Gelände mit dem Plan, ein Eventhaus mit Flächen für Foto-, Video- und Filmproduktion zu schaffen. Es entstand aber nur eine Strandbar für einige Sommer, ansonsten vermietet er an unterschiedliche Gewerbe.
Seit 2012 gehört das Gelände dem Mannheimer Recyclingunternehmer Klaus Kungl, der dort ein Hotel einrichtet. Außer gibt es eine Tanzschule und eine große Boulderhalle mit Beach am Hafen.
- Webseite von Albert Gieseler
- Adressbücher der Stadt Mannheim
- Werbemittelsammlung Herrmann, privat
- Industriekultur in Luxembourg
- Unterlagen der Firma Rotta von Herrn Dr. Götz Rotta freundlicherweise zur Verfügung gestellt.