ehem. Margarinefabrik Estol

Die Fabrik zeigt sich an der Friesenheimer Straße nur als großflächiger, mit hellem Trapezblech verkleideter Kubus. Unvermutet taucht ein lebensgroßes buntes Stillleben mit Palme und diversen Ölfrüchten als Relief an der öden Wand auf. Das ist alles, was auf die ehemals hier ansässige Margarinefabrik Estol hinweist.

Von der Rheinrott-Straße aus gelangt man auf das Betriebsgelände. Auch vom Tor aus hat man schon einen tiefen Einblick auf hohe Anlagen mit frei liegenden Rohren, einigen Hallen und rechts den Verwaltungsbauten aus den 50er und 60er Jahren. Interessant ist der Blick vom Hafen aus, den man bei einer Schiffstour erhaschen kann. Die Zeiten, in denen sich ein 10 Meter hoher Berg aus gemahlenen Baumaterialien in der Mitte des Geländes erhoben hat, scheinen vorbei zu sein. Jetzt erkennt man einige niedrige Backsteingebäude und im Hintergrund die Anlagen.

Die durch Rohrleitungen verunzierten Fassaden der Klinker-Hallen an der Ecke zur Rheinrottstraße gehörten ursprünglich zur Sackfabrik Temmler.

Die Gebäude der Margarinefabrik, die hier von 1912 bis 2001 produzierte, stammen aus unterschiedlichen Bauzeiten. Neben architektonisch ansprechenden Gebäuden wie der "Palminfabrik" finden sich reine Funktionsbauten. Die Straßen und Plätze auf dem Gelände sind nach bekannten Markenprodukten benannt: Livioweg, Sanellaweg, Lättaweg ...

Nutzung (ursprünglich)

Speisefettfabik

Nutzung (derzeit)

Gewerbepark

Geschichte

Soff und Reichenburg ist weder die erste noch die einzige Speisefettfabrik in Mannheim. So zählt der Hafenführer von 1910 noch folgende weitere Firmen auf:

  • Metzger und Sacherer, Lorzingstraße 41, Öl- und Fettwarenfabrik
  • VDOM (Bunge) Bonadiesstr. 3-5 und Lindenhof, Öl, Pflanzenbutter
  • Muller & Co Jungbuschstr., 13 Margarine und Pflanzenfett
  • Van den Bergh´s Margarine Jungbuschstr. 13
  • Heinrich Schlink, Jungbusch, Schanzenstr. 8, Palmin, Kokosbutter
  • A. Kaufmann Pflanzenbutterfabrik Diffenéstraße 11-13, Fruchtin

Die ersten zwei Jahrzehnte

1903 wird die Margarine- und Speisefettfabrik „Soff & Reichenburg" GmbH mit einem Stammkapital von 100 000 M gegründet. Die Firma ist also beachtlich, gilt als „führende im Badener Land“. Die Vornamen der Fabrikanten sind bisher nicht herauszufinden, ebenso nicht die Zutaten ihrer Margarine. Auch andere Produzenten geben darüber nur selten Auskunft. Ihr Produktionsstandort ist zunächst im Jungbusch in der Werftstraße 25.

1909 wandelt sie sich in eine Aktiengesellschaft um und benennt sich „Estol“ AG.
1912 zieht sie an den Industriehafen in die Friesenheimer Str. 12a. Dort verfügt sie über zwei Gleisanschlüsse, einen am Hafen, den anderen von der Straße aus. Die Estol stellt hier Tafelmargarine her, eine Mischung aus pflanzlichen und tierischen Fetten, auch für höhere Temperaturen zum Backen und Kochen geeignet ist. Gleichzeitig bietet sie auch „feinste Cocosnuss-Butter“ und „Pflanzenbuttermargarine“ an. Da sei 1909 die Fetthärtung erfunden und verfügbar ist, kann Margarine auch rein aus Ölpflanzen der Kolonien hergestellt werden.

Fusionen im großen Stil

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts war der Margarinemarkt dominiert von zwei niederländischen Firmen: Van den Berg mit den Markenprodukten "Sanella" und "Blauband" und Jurgens ab 1924 mit "Rahma", ab 1927 "Rama" – zur Vermeidung von Assoziation an Rahm. Diese arbeiteten zwar einerseits eng zusammen, wenn es um Preisabsprachen und andere Konditionen ging, traten aber in der Öffentlichkeit als unerbittliche Konkurrenten auf. Ihre Werbefeldzüge werden heute zu den ersten Beispiele für modernes Marketing gerechnet.

Anfang des Jahres 1920 fusioniert die Estol mit der deutschen Tochter von Van den Bergh in Kleve, die die Pflanzenmargarine „Blauband“ herstellt. In diesem Zuge erweitert die Estol ihre Produktionsanlagen und bringt sie auf einen modernen Stand. Die Estol wird eine der großen Produktionsstätten von „Blauband“.

Ende der 1920er Jahre kommt es erneut zu mehreren Firmenzusammenschlüssen: Die Konkurrenzfirma Jurgens schließt sich 1927 mit van den Bergh zur Margarine Unie / Margarine Union zusammen. Jurgens bringt das Kokosfett "Palmin" mit in die Produktfamilie, das er von dessen Erfinder Schlinck übernommen hatte. 1929 fusionieren sie mit der britischen „Lever“ zum bekannten Konzern „Unilever“; die Geschäftsführung der Margarineproduktion bleibt in den Niederlanden und die deutsche Tochter nennt sich „Margarine-Union GmbH“ (ab 1972 Union Deutsche Lebensmittelwerke GmbH). In Mannheim produziert man jetzt „Rahma im Blauband“.

1932 kommt es auf dem Estol-Gelände bei einer Druckprobe mit Luft zu einer Kesselexplosion. Zwei Personen werden durch die Wucht der Trümmer getötet.

Im Zweiten Weltkrieg darf keine Marken-Margarine mehr hergestellt werden, trotz mehrfacher erheblicher Beschädigungen kann die Produktion von Speisefett aufrechterhalten werden. Die unzureichende Rohstoffversorgung bereitet nach dem Krieg große Schwierigkeiten zur weiteren Produktion.

Noch 50 Jahre gute Geschäfte

Die Margarinewirtschaft kann 1951 wieder über ihre Rohstoffe frei verfügen. Erstmals wieder kann die Marke Rama 1954 auf dem Markt erscheinen, vorher nur Sanella. Bis Ende der 1990er Jahre werden Rama, Sanella, Becel und Biskin mit 220 Mitarbeiter*innen am Mannheimer Industriehafen hergestellt. Ab den 1970er Jahren ist auch Palmin wieder im Mannheimer Programm. 2001 gibt Unilever die Margarineproduktion in Mannheim und anderen Städten auf. Grund sei der "dramatische Rückgang des deutschen Margarinemarkts", der auch durch massive Kostensenkungen nicht auszugleichen sei, hieß es. 2018 gliedert Unilever die gesamte Speisefett-Sparte aus dem Konzern aus.

Das Gelände am Industriehafen übernehmen die Ölmühle Bunge und das Abbruchunternehmen Bührer mitsamt den Anlagen, Hallen und Gebäuden, die sie teilweise abreißen oder an Handwerker, Firmen und an die Kreativen von Peer 23 vermieten.

Erbauer
Estol
Bauzeit / Umbauten
1912ff
Autor*in
Barbara Ritter 02.2021
Letzte Änderung
Objektnummer
387
Adresse
Friesenheimer Straße 12
68169 Mannheim
Geo
49.51238851221, 8.456009568155
Barrierefrei
Ja
nur von außen