Ehem. Reichsschwefelwerk in Haßmersheim
Wer sich Haßmersheim in unteren Neckatral nähert, erblickt schon von weiten ein mächtiges Industrigebäude. Gleich einer gotischen Kathedrale erhebt sich inmitten des Ortes ein Silobau, der mit fast 40 Metern Höhe die Silhouette der 4900 Einwohnergemeinde prägt. Das Bauwerk ist Rest einer ursprünglich weitläufigen Fabrikanlage, in der im Ersten Weltkrieg der kriegswichtige Schwefel gewonnen werden sollte.
Die Trafostation diente der Elektrizitätsversorgung des Betriebs. Die ursprüngliche Funktion der Sprenglufthalle ist unklar. Benannt wurde sie nach einem früher benutzten Sprengverfahren. Das große Silogebäude, das mit einer Seilbahn mit einem nahen Steinbruch verbunden war, diente zur Zwischenlagerung von Gips, bevor aus ihm im Werk Schwefel gewonnen wurde.
Die Sprenglufthalle und das Silogebäude wurde ab 1956 zunächst von der Firma „Kawasny", später von der Firma „Hans Uwe Thielecke" als Malzfabrik genutzt. Die Produktion wurde Ende des letzten Jahrtausends eingestellt. Verschiedene Projekte einer Umnutzungen scheitern bisher. Zur Zeit findet an Samstagen im Silogebäude ein Trödelmarkt statt. Die Trafostation wurde vor wenigen Jahren in ein Wohnhaus umgewandelt.
Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, hatte die militärische Auseinandersetzung unmittelbare Auswirkungen auf die chemische Industrie in Deutschland. Einer der wichtigsten chemischen Grundstoffe ist Schwefel, der damals bei der Produktion von Farbstoffen, Gummireifen und Kunstdünger verwendet wurde. Das Element war aber auch ein wichtiger Ausgangsstoff für die Herstellung von Schießpulver und Giftgas. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Schwefel hauptsächlich aus Sizilien bezogen. Als Italien 1915 auf Seiten der Alliierten in den Krieg gegen Deutschland eintrat, blieben die Lieferungen aus. Die unter der Kontrolle der Mittelmächte befindlichen Schwefelvorkommen in Oberschlesien, Galizien und Kroatien konnten die Nachfrage nicht decken. Der Import von Schwefelkies aus Norwegen und Schweden war nicht auf Dauer gewährleistet. Daher wurden Pläne verfolgt, die im Gips enthaltene Schwefelsäure in Schwefel umzuwandeln. Mit der Zuhilfenahme von Sandstein sollte das Element bei einem Brennvorgang extrahiert werden. Erste Vorversuche waren vielversprechend. Bei der Standortwahl für eine Großanlage entschied man sich für das badische Haßmersheim, weil es in der Gemeinde und der näheren Umgebung große Gipsvorkommen gibt. 1916 begannen die Arbeiten am Werk, das im Auftrag des Waffen- und Munitionsbeschaffungsamts durch die „Badische Anilin- und Sodafabrik AG“ (BASF) in Ludwigshafen und die „Deutsche Maschinenbau AG“ (DEMAG) aus Duisburg erstellt wurde. Mehr als 2500 Menschen waren mit dem Aufbau der Fabrik beschäftigt; unter ihnen zahlreiche gefangene Belgier, Franzosen und Russen. Zum Werk gehörten ein Kesselhaus, mehrere Hochhöfen, Bunker für Gips, Koks und Sandstein, Wohn- und Verwaltungsbaracken, unterschiedliche Versorgungsbauten, ein Rangierbahnhof und ein Lokschuppen. Die Anlagen erstreckten sich auf einer Fläche von 30 Hektar über einen Kilometer entlang des Neckars und wurden mittels einer eigenen Eisenbahnbrücke mit der auf der anderen Flußseite verlaufenden Neckartalbahn verbunden. Immer wieder kam es zu Verzögerungen. Schließlich konnte die Fabrik im August 1918 teilweise in Betrieb genommen werden. Das Ergebnis war ernüchternd. Die Schwefelausbeute blieb im Großbetrieb weit hinter den Erwartungen zurück. 30 t Gips, 500 kg Koks, 250 kg Kohle und 133 kg Sandstein waren, nötig um 200 kg Schwefel zu gewinnen. Wenige Monate später endete der Krieg und die Arbeiten in Haßmersheim wurden umgehend eingestellt.
In den Jahren 1919 bis 1921 demontierte die DEMAG große Teile der Anlage. Mitte der 1920er Jahre erwarb die BASF das Areal mit den noch verbliebenen Baulichkeiten. Neben dem Silobau bestanden damals an größeren Bauwerken noch die sogenannte Sprenglufthalle, zwei etwa 90 und 100 Meter hohe Schornsteine sowie ein Wasserturm. Die BASF hatte 1914 das Gipsbergwerk im benachbarten Neckarzimmern übernommen, in dem Anfang der 1920er Jahre nahezu 500 Arbeitnehmer beschäftigt waren. Da die BASF damals auch Bergrechte in Haßmersheim erworben hatte, wollte sich das Unternehmen offenbar eine potentielle Erweiterungsfläche sichern. Doch nutzte sie das Gelände anschließend nicht. Vielmehr wurde die Grube in Neckarzimmern 1929 stillgelegt. Damit verlor das Ludwigshafener Unternehmen auch das Interesse an seinen Haßmersheimer Liegenschaften.
Schließlich wurde der Silobau 1956 von der BASF an die Malzfabrik Max Kwasny aus Altfraundorf verkauft. Das übrige Gelände veräußerte der Chemiekonzern kurz darauf an die Gemeinde Haßmersheim, die anschließend das Gros der noch verbliebenen Überbleibsel des Werks beseitigte. 1962 wurden die beiden Schornsteine gesprengt; zwei Jahre später brach man die Reste der am Ende des Zweiten Weltkriegs gesprengten Eisenbahnbrücke ab. Schließlich fiel 1969 auch der Wasserturm. Heute befinden sich auf dem Areal des ehemaligen Rüstungsunternehmens mehrere Industriebetriebe und eine Wohnsiedlung.
Nachdem die BASF den Silobau Mitte der 1950er Jahre veräußert hatte, wurde er über vier Jahrzehnte als Malzfabrik genutzt. Zuletzt von der Firma Hans Uwe Thielecke, die in den 1980er Jahren auch die benachbarte Sprengluftalle übernahm. Verschiedene Anläufe einer erneuten Nutzung wie ein geplanter Umbau zum Erlebnishotel scheitern bisher an den baurechtlichen Rahmenbedingungen. Die Sprenglufthalle wurde im April 2015 durch ein Feuer schwer beschädigt und im August 2016 abgebrochen.
Volker Gierth, Das Reichsschwefelwerk in Haßmersheim, in: Mosbacher Jahresheft 14 [2004], S. 146-207.
Das größte noch erhaltene Bauwerk des Reichsschwefelwerks in Haßmersheim ist das Silogebäude. Das Gebäude aus Stahlbeton ist einschließlich Dachgiebel 31 Meter hoch. Der Turm hatte eine Höhe von 39 Metern. Im Inneren besitzt das Bauwerk drei Hauptgeschosse sowie zehn gleich große fest in das Gebäude integrierte Silos. Unter dem Arkadengang auf der Westseite des Gebäudes war ein Verladegleis verlegt.
Westlich des Silogebäudes war ein Rangierbahnhof angelegt. Das eigentliche Werk lag rund einen Kilometer nördlich des Silogebäudes. Die ehemalige Eisenbahnbrücke befand sich nordöstlich davon unweit des Gipswerks Neckarzimmern.