Ehem. Tabakhandel am Industriehafen Mannheim
Fünf Stockwerke hoch ist der Klinkerbau. Seine bauzeitlichen, liegenden Metallfenster ziehen sich über die gesamte Länge und Breite des Gebäudes. Der schmale Betonsims verbindet die Fenster optisch und stellt eine starke horizontale Betonung her. Die obersten Fenster sind fast direkt unter dem Dach, das sehr flach ist und kaum einen Überstand hat. Das wuchtige Gebäude am Beginn der Industriestraße wirkt streng und zeitlos. Man könnte es für einen 50erJahrebau halten oder für ein expressionistisch inspiriertes Gebäude aus den 1930er Jahren. Dass der Firmenname mit weißer Farbe direkt auf die Klinker gemalt wurde, entspricht dem spartanischen Ambiente. Und dass die Firma „Strack“ heißt, passt einfach dazu.
Von den 1930er Jahren bis 1964 haben hier ca. 100 Beschäftigte, mehrheitlich Frauen, regionalen und internationalen Rohtabak bearbeitet.
Seither wird das Haus als Miet-Lager genutzt. Das oberste Stockwerkwerk beherbergte 2009 einen Teil einer modernen Kunstausstellung (Art-scout One). Im Erdgeschoss überrascht eine spanische Kochschule mit Tapas und einem liebvoll gedeckten Tisch. Über den selben Eingang gelangt man zu einer Autoschrauber-Werkstatt und einem Getänkehandel.
Die langestreckte Halle der Allgemeinen-Werkzeugmaschinen-Gesellschaft ist von der Straße aus kaum sichtbar. Sie wird als Lager für Ladeneinrichtungen genutzt.
Fermentieren und Lagern von Rohtabak
Miet-Lager-Haus; Handel in unterschiedlichen Branchen.
Tabakgewerbe und –Industrie in Mannheim
Das Tabakgewerbe entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einem Wirtschaftszweig, der durch seine Steuern durchaus auch Staatseinnahmen sicherte. 1878 existieren allein in Baden 143 Tabak-Großhandlungen davon 61 in Mannheim. Die 65 in den großen Städten ansässigen Händler beschäftigen 559 Angestellte und 3.107 Arbeiter.
Die in Mannheim traditionell starke Tabakindustrie, die Herstellung von Zigarren und Zigaretten, hatte sich schon um 1900 wegen der billigeren Löhne aufs Land verlagert.
1905 sind von den 38.600 Beschäftigten in Baden in dieser Branche 22.200 auf dem Land tätig. In der Stadt findet man nur noch die Stammsitze der Firmen und den Tabakhandel, wo verpackt, gelagert und verkauft wird. Ausländischer Tabak ist qualitativ besser und gleich teuer wie regionaler, deshalb steigt sein Anteil an einem insgesamt steigenden Tabakverbrauch.
1910 sind nur noch sieben Großhändler mit dem Import von Tabak aus Java und Sumatra befasst, der Import läuft über Amsterdam und Rotterdam, 29 Agenturen vermitteln der Verkauf zwischen Holland und den inländischen Fabriken.
Standort Industriestraße 2
In den 1930er Jahren siedelt sich die Rohtabakhandlung von Josef Strack & Co in der Industriestraße an. Für eine Erweiterung kauft sie 1942 Gelände von der Allgemeine Werkzeugmaschinen Aktiengesellschaft AWG. Wann das Klinkergebäude tatsächlich gebaut wurde, ist aus den wenigen auffindbaren Unterlagen bisher nicht nachvollziehbar.
Das weitläufige Gelände der Industriestraße 2 „A bis L“ ist seit der Gründung des Industriehafens mit vielen eher kleinen Betrieben und Handwerkern bestückt, die oft nur in Untermiete ihren Geschäften nachgehen – ein früher „Gewerbepark“ also: Alteisenhandlung, Blechwarenwerk, Lumpensortieranstalt, Schreinerei, Plattenträgerwerk, Kfz-Händler. Eine Ausnahme ist die Allgemeine Werkzeugmaschinen Aktiengesellschaft AWG mit Stammsitz in Köln, die seit Anfang der 1920er Jahre eine große Niederlassung am Industriehafen hat. Sie stellt Metallbearbeitungsmaschinen her und betreibt hier eine Reparaturwerkstatt (bis 1968). Sie wird heute von dem Unternehmen für gebrauchte Ladeneinrichtungen Zengin genutzt.
Arbeitsprozesse bei Strack und Co
Die trockenen Tabak-Büschel (zusammengenähte Blätter) kamen entweder lose auf LKW von den Bauern der Region oder in Ballen gepresst vom Ausland per Schiff über Holland. Fermentieren ist eine temperaturgesteuerter Prozess (ähnlich wie gerben). In Hitze und Feuchtigkeit fermentieren sie, danach werden die Büschel auf Kühlbänke gesetzt, um sie auszukühlen und zu trocknen. Zwischen den Kühlbänken ist viel Platz, die Luft muss ständig zirkulieren können, deshalb auch die großen Fenster. Dann füllt man sie in Presskästen und näht sie in Jute zu großen, 150 kg schweren Ballen ein. Viel Handarbeit also, bevor der fermentierte Rohtabak für die Weiterverarbeitung an Zigarren- und Zigarettenfabriken verkauft wurde.
Das Gebäude bot für die Lagerung und die Fermentierung mit seinen großzügigen Flächen genügend Platz. Die Lagerarbeit war schwere Männerarbeit, denn die 150 kg-Ballen wurden überwiegend mit Sackkarren abgeladen, ins Lager gefahren, mit einem elektrischen Aufzug hochgehoben und erneut mit Muskelkraft auf den Stapel gezogen. Gabelstapler und Europaletten kamen erst in den 1960er Jahren zum Einsatz. Zu diesem Zeitpunkt gab jedoch Josef Strack seinen Betrieb auf.
Bevor Strack den Tabakhandel 1964 aufgab, vermietet er an die Deutsch-Holländische Tabakgesellschaft, die Tabakfolien zur Verwendung als Deckblatt für Zigarren herstellt. Diese zieht 1971 nach Hockenheim, wo sie noch heute ansässig ist.
- Adressbücher Mannheim
- Alle schwarz/weiß-Aufnahmen aus dem Fotoheft der Firma Strack um 1950