ehem. Zentrale der Konsumgenossenschaft in Ludwigshafen
Durch den Eingang von der Heinigstraße in den Hinterhof des Karrees ist ein stattliches Gebäude mit Laderampe erkennbar. Die farbige Backsteinfront mit gelben und roten Klinkern sticht hervor, die Fenster mit flachen Bögen haben weiße Sprossen. Die Fassade ist mit roten Lisenen und Bändern über und unter den Fenstern gegliedert. Über den drei Stockwerken ist ein Flachdach. Alles wirkt frisch saniert. Der Hof ist groß und aufgeräumt. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass der Komplex aus mehreren mit einander verbundenen Gebäuden besteht. Bei einer Besichtigung von innen erschließt sich eine Vielzahl großzügiger Räume mit moderner Präsentationstechnik, mehrere Keller, einer mit Kühlzellen und einige schicke Lofts unterschiedlicher Größe.
Es ist erstaunlich und sehr erfreulich, dass der Komplex vom Anfang des 20. Jahrhunderts weitgehend erhalten ist und gepflegt wird. Es ist die ehemalige Zentrale des Ludwigshafener Konsumvereins, einer Genossenschaft, die eng mit der Arbeiterbewegung verbunden war.
Das 50er-Jahre-Gebäude in der Kaiser-Wilhelmstraße 66 gehörte ebenfalls zum Konsumverein. Es ist mit seiner zeittypischen geschwungenen Freitreppe ebenfalls noch gut erhalten.
Verwaltung, Lager und Metzgerei der Konsumgenossenschaft
Lager, Büros, Wohnungen
Die Geschichte der Konsumgenossenschaft in LU verläuft ziemlich dramatisch und ganz anders als z.B. in Mannheim, obwohl die Ausgangsbedingungen sehr ähnlich waren: die Gründerjahren mit einem rapiden Wachstum der Industrie bedeuteten Konzentration von Arbeiterfamilien in der Stadt, die keine Möglichkeit der Selbstversorgung haben. Es gibt nur kleine Läden, teure Geschäfte, oder Wochenmarkt. Kaufhäuser gab es noch nicht. Die Löhne sind niedrig, schnell ist man arbeitslos, bei Krankheit ohne Lohn. Man muss anschreiben lassen, Verschuldung beim Händler. Der Händler kommt in Schwierigkeiten und streckt seine Waren, panscht, wiegt schlecht, verkauft Halbverdorbenes. Die Grundsätze der Konsumgenossenschaften, die sich um diese Zeit nicht nur in Deutschland gründen sind deshalb:
- gute unverfälschte Ware zu günstigen Preisen an die Mitglieder abgeben
- Barzahlung, kein Anschreiben
- Rückvergütung je nach Umsatz (das ist kein Rabatt)
- Demokratische Strukturen, parteipolitische Neutralität
1873 Gründung bis 1906
Sommer 1873: Ankündigung beträchtlicher Preissteigerungen durch die Vereinigung der Ludwigshafener Bäcker. Daraufhin eine Versammlung von mehreren Hundert Leuten, v.a. Arbeiter der Waggonfabrik. 20.09.1873 Gründung eines Konsumvereins. Der Verwaltungsrat ist mit 12 Personen besetzt, vom Fabrikdirektor bis zum Handwerksgesellen, aber keine Arbeiter. Die Reichen hatten damals manchmal humanistische Anwandlungen, aus patriarchalen Motiven gaben sie sich sozial, solange es sie nicht wirklich was kostete.
1874 zu Jahresbeginn eröffnen einer ersten Verteilstelle: in der Mundenheimer Straße 245 (nahe bei Mohrbacher).
Die BASF stellt einige Räume in der Kurzen Straße (nahe beim Haupttor der BASF) zur Verfügung für einen zweiten Laden. damit es die 150 Mitglieder im Hemshof es nicht so weit haben. In den kommenden 25 Jahren kommen noch 2 Verteilstellen dazu (Frankenthalerstraße 74 und Seilerstraße 2).
Der Konsum steht die ersten 25 Jahre völlig unter dem Einfluss führender Persönlichkeiten der BASF und der Pfalzbahn, die den eigentlichen genossenschaftlichen Ideen unterinteressiert gegenüberstehen. Sie wollen den Konsum keinesfalls als Konkurrenz zu den kleinen Lebensmittelgeschäften zulassen. Denn diese Lädchen werden vielfach von Ehefrauen der Fabrikarbeiter betrieben und so kann der Lohn für die Arbeiter niedrig gehalten werden. Diese Tante-Emma-Läden arbeiten teilweise unter schlechtesten hygienischen Verhältnissen, der Verkaufsraum war oft Wohn- und Schlafraum der ganzen Familie.
1902 hat der Konsum 1 661 Mitgliedern. Im Verhältnis zum Bevölkerungswachstum der Stadt Ludwigshafen sind das wenige. Dennoch erbaute man ein eigenes Geschäfts- und Lagerhaus (im Innenhof des Karrees von Heinigstraße Kaiser-Wilhelm-Straße , Dörrhorststraße).
In anderen Städten, z.B. Mannheim gründen sich um 1900 Konsumgenossenschaften klar unter der Führung der Arbeiterbewegung. Der großkopferte Vorstand in Ludwigshafen will jedoch eine Einflussnahme der Arbeiter und Sozialisten auf die Geschäftsführung unter allen Umständen verhindern.
1903-1933 die Arbeiterbewegung übernimmt die Führung
In Ludwigshafen spitz sich die Lage zu, als bei einer außerordentlichen Generalversammlung 1903 drei Arbeitervertreter in den Vorstand gewählt werden. Die Unterlegenen Bürger klagen beim Landgericht in Frankenthal – erfolglos. Als bei der nächsten Wahl klar die Arbeiterbewegung sogar die Mehrheit der Vorstandssitze erringt, gründen die unterlegenen Bürgerlichen und Industriellen einen Konkurrenzverein: den „Warenbezugs- und Sparverein“. Die BASF verlange die Räumung des Ladens in der Kurzen Straße. Viele Konsummitglieder aus kleinbürgerlichen Verhältnissen treten dorthin über. Aber auch Arbeiter, die von Ihren Fabrikherren massiv unter Druck gesetzt werden. Der neue Verein hat trotz massiver Unterstützung durch Großunternehmen und die größere Kaufkraft seiner Mitglieder nur eine geringe wirtschaftliche Bedeutung erlangt.
Der Konsumverein hat nach seiner Richtungsänderung die Schwierigkeiten durch den Mitgliederverlust nach wenigen Jahren wieder wettgemacht. Die Zahl der Mitglieder wächst: 1908 auf rund 5 000.
Im Vorstand waren ab1906 führende Vertreter der linken Parteien und Gewerkschafter. Bis aber Frauen auch im Vorstand sind, dauert es lang. Die Arbeitsbedingungen beim Konsum werden verbessert: ab 1911 übernimmt der Konsum die Zuschüsse zur Sozialversicherung, später zahlt er sie ganz. Die Tarifverträge sind fast vorbildlich. Man arbeitet gern beim Konsum.
Der Konsumverein in Ludwigshafen hat in seiner Zentrale in der Kaiser-Wilhelm-Straße eine eigene lokale Produktion von: Sauerkraut, eine Bäckerei und Konditorei, und eine Metzgerei mit Wurst- und Fleischwaren. Wein wird aus der Konsumeigenen Kellerei in Ruppertberg bezogen..
Das Verzeichnis der Warenlieferanten von 1912/3 zeigt, was der Konsum damals außer Lebensmittel schon alles angeboten hat: Kleidung für die ganze Familie, Schreibwaren, Schulartikel, Fahrräder und Manufakturwaren. Es gibt Reste- und Schnäppchenläden. Zu den Lieferanten gehörten auch Warenhäuser wie Wronker, Kander und Braun. Warenhäuser als neues Einkaufsparadies entstanden ebenfalls um 1900. Sie waren billig und viele Arbeiterhaushalte konnten dort einkaufen. Die Konsumgenossenschaft rief auch dazu auf, bei den Lieferanten direkt einzukaufen.
Über die Großeinkaufsgesellschaft der deutschen Konsumvereine GEG werden jetzt viele Produkte nicht nur im Großhandel bei Produzenten eingekauft, die GEG beginnt selbst in industriellem Maßstab zu produzieren.
Im 1. Weltkrieg steigt die Zahl der Länden (1915 30, 1920 37). Nach dem Ende der Monarchie wächst das Selbstbewusstsein der Arbeiterklasse. Auch bei der BASF kommt es zu Arbeitskämpfen. In 20er Jahren hat der Konsum eine wichtige Versorgungsfunktion. Es geht um die gerechtere Verteilung der knappen Güter (Stadt / Land) in Krisenzeit. 1920 vergrößert der Konsum das Lagers und richtet eine Dampfbäckerei in der Kaiser Wilhelm Straße ein.
Ab 1925 hat der Konsum eine eigene Fahne, die Regenbogenfarben!
Viele neue Läden werden in neuen Wohngebieten eröffnet: Ende der 1920er Jahre in der Westendsiedlung und Ebersiedlung. Bestehende Läden werden renoviert. Man dehnt sich ins Umland aus. 1928 sind es 53 Läden! 1929/30 hat der Konsum Ludwigshafen einen Personalstand von 791 Personen. Viele Schulungen werden durchgeführt, Zentral-Warenlagers wird vergrößert, gute hygienische Bedingungen herrschen dort, eine große Kühlzelle wird eingebaut.
Die günstigen Preise beim Konsum und die neuen Kaufhäuser machen den Einzelhändlern starke Konkurrenz. Auch sie gehen auch dazu über, Rabattmarken auszugeben. Die NSDAP und die „Wirtschaftspartei“ nehmen sich ihren Klagen an. Nazis hetzen gegen die jüdischen Warenhäuser und den marxistischen Konsum. Die Konsumgenossen klagen über den „gehässigen, ja fanatische Kampf sog. Mittelständler.“
1930, noch vor der NS-Zeit, wird eine Sonderteuer für Warenhäuser und Konsumvereine eingeführt. Konsum verteilt 40 000 Flugblätter über Hausagitation mit dem Ziel, dass die Mitglieder möglichst alles beim Konsum kaufen. Es werden noch mehr Eigenprodukte entwickelt. In Mannheim ist 1931 der Fabrik-Komplex der GEG fertiggestellt. Die „Burg“ versorgt die Konsumläden in Süddeutschland mit Mehl, Teigwaren und Malzkaffee. Sehr viele Konsummitglieder sind arbeitslos oder in Kurzarbeit. Dennoch läuft die Versorgung gut.
NS-Zeit: „Verbrauchergenossenschaft“ von den Nazis übernommen
Eigentlich forderten Die Nazis die Zerschlagung des Konsumgenossenschaften und der Warenhäuser. Tatsächlich war die Genossenschaft aber dermaßen gut organisiert und effektiv, dass sie die Nazis umdrehten und übernahmen. Jüdische Warenhäuser wurden „arisiert“.
Schon im Mai 1933 kommt es zur „Gleichschaltung“: Vorstandsposten von Konsum und GEG werden mit ausgewiesenen Nazis und „verdienten Kämpfern“ besetzt. Der neue Name ist jetzt „Verbrauchergenossenschaft“. Der Name GEG verschwindet hinter Deutsche Großeinkaufsgesellschaft DEUGRO.
Das Rabattgesetz von 1934 (übrigens erst 2001 aufgehoben!), begrenzt die Rückvergütung auf drei Prozent. Es dürfen keine Spareinlagen mehr angenommen werden. 1941 werden die ehemaligen Konsumorganisationen in die Deutsche Arbeitsfront eingegliedert unter eine Holding, die als Gemeinschaftswerk der Deutschen Arbeitsfront (GW) firmierte. Die GEG ist in die Kriegswirtschaft mit eingebunden (z.B. Lieferung von Lebensmittel an die Wehrmacht).
Viele Einrichtungen und Läden des ehem. Konsums sind am Ende des Krieges Ruinen. Aber die Alliierten sehen nur die NS-Geschichte des Unternehmens. Mit Mühe wird 1948 das Vermögen der Konsumgenossenschaft wieder an sie zurückgegeben. Der Aufbau kann beginnen.
1948 bis 1967 „die gut Zeit des Wachstums“
Aus den Ruinen erwachsen wieder Läden, die Zentrale wird erneut ausgebaut mit Bäckerei, Metzgerei, Lager. Die hauseigene Schreinerei stellt Ladeneinrichtungen her. In den frühen 1950er Jahren ist der Konsumverein nicht nur eine günstige Einkaufsquelle, er bildet auch eine lebendige Gemeinschaft, die Wert auf Geselligkeit und ein solidarisches Lebensgefühl ihrer Mitglieder legt, aber auch auf eine solide Fortbildung der Beschäftigten. Familienabende, Ausflüge, Feste werden organisiert, der Frauenverein wird aktiv, nicht nur mit Haushaltstipps. Es gibt eine gut gestaltet Vereinszeitung, Filme und Vorträge.
Schon 1953/54 stemmt der Konsum den Neubau eines Verwaltungsbaus direkt in der Kaiser Wilhelm Straße 66. Hier entstehen neben Büros auch 27 Wohnungen. Wenige Jahre später, 1959/60 wird auch die Zentrale im Hinterhof zu eng. Ein großzügiger Neubau in der Maudacher Straße 109 entsteht. Die alte Zentrale wird an Elektrofirma Eidt verkauft.
1967 bis zum bitteren Ende als Aktiengesellschaft.
Der Modernisierungsdruck wird immer stärker, 1967 führt der Konsum die Selbstbedienung in seinen neuen Läden ein. Gleichzeitig kommen Discounter auf, die wahre Preisbrecher sind. Es kommt zur Konzentration der Handelskonzerne. 1967 verschmelzen der Konsumverein Mannheim und Ludwigshafen zur „Konsumgenossenschaft Kurpfalz“. Sie hat jetzt 58.000 Mitglieder, 176 Verkaufsstellen, davon schon 137 Selbstbedienungs-Läden.
1969 gibt es eine neues Logo „ co op Konsumgenossenschaft Kurpfalz“. Auch der co op beteiligt sich am Aufkaufen von Handelsketten wie „Schreiber“ und „Lichti“. 1970 ist coop Kurpfalz ist mit 163 Läden das größte Einzelhandelsunternehmen im Raum MA/Lu.
Der Neubau Großflächenmärkten steht jetzt auf der Tagesordnung. Doch einige Konsumvereine in der BRD kommen in Schwierigkeiten.
1974 wird eine bundesweiter co op Aktiengesellschaft gegründet. Der radikale Wechsel der Rechtsform machte aus kranken Genossenschaften allerdings keine gesunde Aktiengesellschaft. Coop Kurpfalz steigt in AG ein und wieder aus. Doch es gibt kein Halten mehr: Innerhalb von 15 Jahren ist der co op in Westdeutschland verschwunden.
1989 zieht das Handelsunternehmen für technische Artikel „Rala“ in die ehemalige Zentrale in der Maudacher Straße ein. 1990 erledigen Missmanagement und kriminelle Machenschaften des Vorstands um Bernd Otto den Rest von coop. Der Handelskonzern Nanz übernimmt die Kurpfälzer Läden. Nanz wird 1998 selbst abgewickelt und an EDEKA und LIDL verkauft.
Mitteilungen und Geschäftsberichte der Konsumgenossenschaft in Ludwigshafen, einsehbar im Stadtarchiv Ludwigshafen