ehemalige Volksküche in der Neckarstadt
Auch im 21. Jahrhundert ist die Institution und das soziale - zumeist ehrenamtliche - Engagement zum Betrieb einer Volksküche leider nicht überholt. Das zeigt besonders deutlich der Anstieg der Zahl der Suppenküchen, Vesperkirchen und Tafeln, der selbst in den reichen Industrieländern Europas in den letzten 20 Jahren zu verzeichnen ist.
Obwohl das Gebäude der ehemaligen Volksküche in der Neckarstadt nur eingeschossig und von höheren Gebäuden umgeben ist, kommt es durch seine Fassadengestaltung aus rotem Sandstein mit aufwendigen architektonischen Zierelementen und der Mittelbetonung gut zur Wirkung. Ursprünglich gab es zwei Eingänge in die 42 qm große Schalterhalle, von der der Zutritt in die geräumigen Speisesäle für Frauen und Männer abzweigte. Die beiden Säle für Männer umfassten 132 qm, die beiden Säle für Frauen insgesamt 102 qm. Umschlungen von der Schalterhalle lag an der Straße das Vorstandszimmer mit Kasse. Die beiden seitlichen Haustüren an der Fassade führen in zwei Treppenhäuser und von dort ins Dachgeschoss. Die Speiseausgabe lag zwischen den beiden geschlechtergetrennten Essräumen. Die 90 qm große Küche war mit gewaltigen Kesseln aus Rein-Nickel-Metall ausgestattet. Die Küche war ringsherum mit weißen Wandfliesen bekleidet. Die Kücheneinrichtung - "nach den neuesten Erfahrungen konstruiert" - lieferte die Firma Hildesheimer Sparherdfabrik A. Senking. Hinter der Küche schloss sich eine Spülküche und ein Vorratsraum an. Im rückwärtigen Teil wurde in der Milchküche die Säuglingsmilch zubereitet. Die Böden der Flure, der Toiletten, des Schalterraums, der Küchen sowie des Vorratsraums waren mit Terrazzo ausgestattet, die der Speisesäle mit Pitchpinedielen. Das Dachgeschoss, belichtet durch große halbrunde Gauben, war ursprünglich als Wohnraum vermietet. Der Mittelrisalit mit Pilastern und großem sogenannten halbrunden Thermenfenster wird durch ein höheres Zeltdach betont.
Nach Erwerb des Gebäudes durch den Paritätischen Wohlfahrtsverbandes 1992 wurde der Hauptzugang in die mittleren Fensterachsen gelegt, die beiden historischen Eingänge stillgelegt. Im ehemaligen Küchenbereich entstand eine neue Haupterschließung mit breiter Treppe und Aufzug. Die große Dreieckgaube über dem Mittelrisalit entstammt ebenfalls dieser Zeit. Die seitlichen Treppenhäuser und einige gusseiserne Säulen sind im Innern erhalten geblieben. Die beiden kleinen Innenhöfe wurden tiefer gelegt, so dass Ausgänge aus dem Untergeschoss behindertengerecht möglich wurden.
Volksküche
„Haus für Vielfalt und Engagement”
Bereits im Jahre 1886 kam es erstmals durch Privatinitiative eines Unternehmers zur Überlegung, gegen geringes Entgelt in einer damals schon so bezeichneten Volksküche Frühstück, Mttagessen und Abendessen anzubieten. Wie lange sich das Geschäftsmodell allerdings betriebswirtschaftlich aufrecht erhalten ließ, ist nicht überliefert.
Die drei Mannheimer Volksküchen, die auf gemeinnütziger Basis entstanden sind, verdanken ihre Gründung der von dem Kommerzienrat Karl Jörger im Jahre 1889 anlässlich seiner goldenen Hochzeit mit einem Stiftungskapital von 35.000 Mark ausgewiesenen "Gemeinnützigen Stiftung". Die Idee zur Einrichtung einer derartigen Wohlfahrtsanstalt in Mannheim stammte allerdings von Lise Lenel. Das Geld wurde der städtischen Stiftungskommission zur Verwaltung übertragen. Von dem Betrag wurde 10.000 Mark zur Errichtung einer Volksküche in Anspruch genommen, der Rest verzinst angelegt. Die Leitung übertrug man dem Mannheimer Frauenverein. Die Kehrseite der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhhunderts mit nicht versiegendem Zuwanderungsstrom in die Städte war die Verarmung großer Bevölkerungsschichten. In den ärmeren Quartieren versuchte man deshalb, der größten Not durch gemeinnützig organisierte Volksküchen entgegen zu wirken. In Karlsruhe gab es zu jener Zeit bereits zwei, in Berlin sogar mehrere Dutzend entsprechender Wohlfahrtseinrichtungen.
Die erste der mit dem erwähnten Stiftungskapital errichteten Volksküchen in Mannheim wurde Anfang Dezember 1889 im Parterre des Privatgebäudes Q 5,4 eröffnet. Mitte des Jahres 1896 verlegte man sie ins Erdgeschoss des neuen Erweiterungsbaus des Städtischen Allgemeinen Krankenhauses in R 5. Die Küche wurde nach den damals neuesten technischen und hygienischen Anforderungen eingerichtet. Der Zugang lag zum Quadrat R 4. 1907 wurden hier täglich ca. 300 bis 400 Essen ausgegeben. Mit Bau und Umzug des Krankenhauses an den Neckar stellte die Volksküche Ende Juni 1922 allerdings ihren Dienst in R 5 ein. Der Frauenverein konnte in der schweren Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und besonders durch die Inflation seine Arbeit finanziell kaum mehr leisten. Zudem wurde nach Aufhebung des Klinikbetriebs in R 5 auch die Kessel- und Maschinenanlage stillgelegt, so dass die Volksküche nicht mehr mit Dampf versorgt werden konnte. Heute wird das historische Gebäude vom Institut für Deutsche Sprache genutzt.
Im Jahre 1904 fand die Eröffnung der zweiten Volksküche in dem heute nicht mehr existierenden Stephanienschlösschen Schwetzinger Straße 83 statt, das zu diesem Zweck von der Mannheimer Baufirma F. & A. Ludwig umgebaut wurde. 1907 kamen hier ca. 300 Personen täglich zur Essensausgabe. Das Gebäude verfügte auch über ein beheizbares Lesezimmer, in dem sich die Gäste abends nach der Arbeit erholen, zerstreuen und weiterbilden konnten. 1913 richtete man einen weiteren Raum als Kinderlesehalle ein. 1922/1923 wurde auch diese Speiseanstalt aufgelöst, jedoch Anfang Dezember 1930 in der Augartenstraße 63 eine neue Verteilungsstelle geschaffen.
Die bittere Not in dem Arbeiterviertel Neckarstadt machte eine dritte Mannheimer Volksspeiseanstalt in der Alphornstraße 2a als soziale Einrichtung erforderlich. Den 850 qm großen Bauplatz auf dem ehemaligen Fabrikgelände von Bopp & Reuther erhielt die Mannheimer Ortsgruppe des Badischen Frauenvereins, die die Volksküchen damals in einer neuen 6. Abteilung unter Leitung von Lise Lenel betrieb, von dem bekannten Mannheimer Großindustriellen Karl Reuther geschenkt. Planfertigung und Ausführung des Baues lagen in der Verantwortung der Mannheimer Firma F. & A. Ludwig. Am 29. Oktober 1906 fand die feierliche Einweihung in Anwesenheit der Großherzogin Luise von Baden statt, die auch den anderen Volksküchen in Mannheim zuvor bereits mehrere Besuche abgestattet hatte. 1907 wurden in der Neckarstadt täglich 200 bis 250 Portionen verteilt.
Die erwachsenen Besucher (minderbemittelte Arbeiter, Rentner, Arbeitslose, sonstige Bedürftige) hatten in der Regel einen kleinen Obolus zu entrichten. So kosteten im Jahre 1907 Brot und Brötchen jeweils 3 Pf., eine Tasse Kaffee 5 Pf., gewöhnliche Suppe 10 Pf., Kraftsuppe 15 Pf., Gemüse und Fleisch jeweils 30 Pf. Es gab aber auch Freitische, an denen die Mahlzeiten umsonst waren. Das ermöglichten sogenannte Mittagessen-Abonnements. Besser situierte bzw. sozial eingestellte Bürger konnten diese in der Geschäftsstelle des Verkehrsvereins in N 1 erwerben und an Bedürftige verschenken. Der Preis pro Mittagessen betrug 40 Pf. 1907 konnten in den drei Volksküchen auch täglich 121 Schulkinder kostenlos speisen. Von Anfang an war in der Alphornstraße als Geschenk der Familie Lanz eine sogenannte Milchküche eingerichtet. Es handelte sich eher um eine Milchapotheke, die das Ziel hatte, durch Abgabe einwandfreier Rezept-Milch gegen den spürbaren Geburtenrückgang und die große Kleinkindersterblichkeit anzukämpfen. Der ärmeren Bevölkerungsschicht konnte so täglich etwa 3000 Milchfläschchen unentgeltlich nach ärztlicher Vorschrift zur Verfügung gestellt werden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg richtete die Stadt Mannheim, in deren Eigentum das Anwesen übergangen war, in der Alphornstraße 2a die Küche des Stadtjugendamtes ein. 1992 erwarb der Paritätische Wohlfahrtsverein das Gebäude und ließ es durch die Planungswerkstatt Wörth zu einem Dienstleistungszentrum umbauen. Die Einweihung fand im Jahre 1997 statt. Es entstand eine Bezirksgeschäftsstelle mit ambulanten Diensten (Mahlzeitendienste, Mobile soziale Dienste, Wäschedienste, stationärer Mittagstisch). Im Frühjahr 2018 nahm die GBG Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft das Gebäude in Besitz und eröffnete hier noch im selben Jahr das "Haus für Vielfalt und Engagement", das den Bürgern ebenfalls eine breite Palette an Angeboten bietet.
- Mannheim und seine Bauten, Mannheim 1906, S. 388ff, 394ff
- Friedrich Walter: Mannheim in Vergangenheit und Gegenwart, Bd. 3, Mannheim 1907, S. 441ff
- Verwaltungs- und Rechenschaftsbericht der Stadt Mannheim 1907, S. 204ff
- Marchivum ZGS S 2/1045; ZGS S 1/1692
- Mannheim und seine Bauten, Bd. 5, Mannheim 2005, S. 117