Industriehafen in Mannheim
Heute hat Mannheim einen der ganz großen Binnenhäfen in Europa. Dieser ist bis auf den Industriehafen in der Hand der Staatlichen Rhein-Neckar-Hafengesellschaft. Der Industriehafen hingegen befindet sich seit Gründung im Besitz der Stadt Mannheim.
Frühes Projekt der kommunalen Wirtschaftsförderung
Als nach Inkrafttreten der Mannheimer Schifffahrtsakte 1868 der Rhein als internationaler Schifffahrtsweg frei befahrbar wird, entwickelt sich Mannheim zum zentralen Handelsplatz in Süddeutschland. Die Stadt wächst enorm und mit ihr die Industrie. Die Betriebe brauchen Anschluss an das Straßen-, Bahn- und Wassernetz. Vor allem wollen sie die Grundstücke kaufen - nicht nur pachten, wie in den staatlichen Häfen üblich. Das Gebiet außerhalb der Stadt an der Altrheinschleife ist für den Bau eines Industriehafens ideal. Doch das Land Baden weigert sich. 1895 entschließt sich die Stadt unter Oberbürgermeister Otto Beck, das Projekt selbst in die Hand zu nehmen.
Planung
Einige, heute traditionsreiche Industriebetriebe hatten sich schon vor der Entstehung des Industriehafens am Hochufer des Altrheins niedergelassen: 1884 die Zellstoff-Fabrik, heute SCA HYGIENE PRODUCTS GMBH; 1872 der Chemiebetrieb Böhringer, heute Roche Diagnostics GmbH und 1853 die Spiegelglasfabrik Saint Gobain. Dieser Arm des Rheins war nach Fertigstellung des Friesenheimer Durchstichs im Jahr 1862 „aus dem Verkehr gezogen“ und wurde zunächst nur von Flößern benutzt. Die Lage außerhalb der Stadt bot sich für die Planung eines Industriehafens an.
Erste umfängliche Pläne sehen einen Industriehafen mit Hafenbecken bis tief in die damals noch kaum besiedelte Neckarstadt vor. Sogar der tatsächlich ausgeführte Plan weist Erweiterungen im östlichen Bereich der Friesenheimer Insel aus, die so nicht umgesetzt sind.
Ausführung
Der Staat stellt das Gelände zur Verfügung, baggert die Fahrrinnen aus, errichtet Schleusenanlagen und den Eisenbahnzubringer. Die Stadt baut die Ufer und Stichbecken aus und stellt die Infrastruktur her: Straßen, Brücken, Kanalisation, Elektrifizierung, Hafen- und Straßenbahn. Die Kosten belaufen sich auf insgesamt 8,5 Millionen Mark, davon trägt die Stadt fast 6,5 Mio., damals eine unglaublich hohe Summe.
Das große Wirtschaftsförderungsprojekt der Stadt gelingt. Bereits 1904 haben sich 39 Betriebe im Industriehafen angesiedelt, 15 davon sind neu in Mannheim.
Zusammen mit der neu erbauten Jungbuschbrücke wird der Industriehafen am 3. Juni 1907 im Rahmen der Feierlichkeiten zum 300. Stadtjubiläum offiziell eingeweiht.
Zunächst entwickelt sich die der Stadt zugewandte Seite des Hafens. Dort siedeln sich eng gedrängt viele zunächst kleinere Unternehmen an, während die Seite auf der Friesenheimer Insel erst später bebaut wird. Dort reihen sich die imposanten Mühlen wie an einer Kette entlang: Die Ölmühle Bunge (1907 als Verein Deutscher Ölmühlen VDO gegründet), Pfalzmühle (1909), die Mühle der GEG Großeinkaufsgesellschaft Deutscher Konsumvereine (1931), die Club-Kraftfutterwerke (1954), die Hildebrand Mühle (1907).
Floßmarkt
Bis in die 1920er Jahre wird der breite, seeartige Industriehafen auch als Floßmarktplatz genutzt. Die Stämme kommen hier vom Neckar über eine Floßschleuse herein. Auf alten Fotos ist gut erkennbar, wie sich tausende von Hölzern auf der Mitte des Hafens ausbreiten, die Schifffahrtrinnen verlaufen eher in Ufernähe.
Keine Erweiterung
Der Industriehafen wurde in den folgenden 100 Jahren nicht erweitert. Hinzugekommen ist zwar der Ölhafen (1964) im nördlichen Abschnitt des Altrheins, der Industriehafen selbst hat aber Flächen eingebüßt: der südliche Teil des Bonadieshafens beim Elektrizitätswerk wurde Anfang der 1950er verfüllt, ebenso der Petroleum-Hafen hinter der Diffené-Brücke. Das Waldhofbecken bei der Diffené-Brücke wird heute kaum mehr angefahren genau so wenig das Inselbecken bei der Kammerschleuse.
Liebenswertes Kaleidoskop
Insgesamt nutzen nur noch sehr wenige Firmen die Wasserlage: TSR-Recycling, Bunge, Pfalzmühle und Hildebrandt-Mühle sind die einzigen, die noch per Schiff beliefert werden. Dennoch ist das Areal des Industriehafens immer noch ein lebhaftes Industrie- und Gewerbegebiet. Hier findet sich eine Vielfalt verschiedenster Baustile von der Gründerzeit, dem Jugendstil, der Neuen Sachlichkeit, der Schlichtheit und Leichtigkeit der 50er Jahre bis hin zu modernen Zweckbauten der heutigen Zeit. Ebenso vielfältig ist der Branchenmix: alteingesessene Industrieunternehmen befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu schicken Start-Up-Unternehmen, kleine Handwerksbetriebe neben Weltfirmen. Künstler arbeiten in unbeheizbaren Industrielofts - in idyllischer oder stylischer Umgebung. Es treffen Firmen mit Nachtschichtbetrieb auf Discos, Flüchtlinge auf Kundinnen von Edelboutiquen, schick aufgemachte Restaurants auf Imbissbuden mit extra großen Portionen. Und dazwischen wütet immer wieder die Abrissbirne.
Das Interesse wächst
Noch lange nach der offiziellen Eröffnung des Industriehafens um 1907 gab es dort Schifftouren für Touristen. Heute jedoch fährt keines der jährlich über 500 Fluss-Kreuzfahrtschiffe durch den Industriehafen. Dafür erfreuen sich die Fahrten dorthin mit der Kurpfalz-Personenschifffahrt zunehmender Beliebtheit. Im April 2011 zog es über 5000 BesucherInnen zur Langen Nacht der Museen in den illuminierten Industriehafen, auch wenn der Industriehafen kein Museum ist. Beim Tag des Offenen Denkmals strömen ebenfalls viele Interessenten in diesen – vor allem „mental“ - abgelegenen Teil Mannheim. Als Verein Rhein-Neckar-Industriekultur tragen wir mit Ausstellungen und Exkursionen einiges dazu bei, diesen Teil des kulturellen Erbes der Stadt sichtbarer zu machen und zu bewahren.
Der Blick der Künstler
In den zwanziger Jahren war der Industriehafen durchaus ein Motiv für Künstler. Auch der berühmte Fotograf Robert Häusser hat hier viele Fotos aufgenommen. Zweimal fanden in jüngerer Zeit im Industriehafen Kunst-Events statt: „Art-scout one“ 2012 von der Kunsthalle organisiert und im Rahmen des „Theaters der Welt“(Nationaltheater) das Stadtraumprojekt X-Firmen im Frühjahr 2014. In der Einleitung dazu beschreiben die Akteure sehr treffend, was die BesucherInnen im Industriehafen erwartet:
In die Industriestraße verirrt sich selten jemand, der dort nicht arbeitet, ein Geschäft zu erledigen hat oder als Flüchtling in einem abgeschotteten Gemeinschaftswohnheim für Asylbewerber eine Unterkunft zugeteilt bekommen hat. Vor dem aufgefalteten Industriepanorama der Friesenheimer Insel, inmitten sämtlicher Schattierungen zwischen sand- und zementfarben und dem Geruch von Hafen und Gummiproduktion, führt eine weitere Tour von X Firmen zu klein- bis mittelständischen Unternehmen. Dabei stößt man zwischen Backsteingebäuden ehemaliger Daunen - und Tabakfabriken, Schlossereien, Schrottplätzen und donnernden LKWs auf unzählige Geschichten zwischen alter und neuer Industrie, lokaler und globaler Wirtschaft, auf selbsterklärte Naturschutzgebiete, Bienenvölker oder fast ein halbes Jahrhundert währende Freundschaften zwischen einsamen Schiffern und warmgehaltenen Würstchen in liebevoll-handfest geführten Imbissen.
- Sigmund Schott, Der Industriehafen zu Mannheim, Festschrift zur Einweihung des Hafens am 3. Juni 1907, 1907
- Dokumentation des Buches von Sigmund Schott