Mannheimer Börse
Nachdem sich Mannheim in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum führenden Warenumschlagplatz am Oberrhein entwickelt hatte, wurde im Herbst 1862 in der Stadt eine Produktenbörse gegründet.
Börse
Verwaltungsgebäude, Musikschule und Börse
Unmittelbar nachdem in Frankfurt am Main Mitte September 1862 eine Produktenbörse gegründet worden war, ergriffen einige örtliche Landesproduktenhändler die Initiative, eine gleichartige Einrichtung in Mannheim zu etablieren. Mitte Dezember wurde der Börsenvorstand gewählt, in den Josef Anton Böhm, Christian Heinrich Diffené, Paul Eichner, Raphael Hirsch, Wilhelm Köster, Seligmann Ladenburg, Julius Marx, Adam Röder und Ferdinand Walther berufen wurden. Zunächst mietete man für ein Jahr Räume im Café Pfisterer in D 4, 6 an. Anfangs waren die Geschäftszeiten montags und donnerstags zwischen 11 und 1 Uhr. In den folgenden Jahren scheint die Börse wiederholt ihren Standort gewechselt zu haben. Nicht alle Orte sind überliefert. Um 1865 war sie in den Räumen der Harmoniegesellschaft im Café Achenbach in D 2 untergebracht. 1884 erweitert man die Einrichtung um eine Effektenbörse. Im September 1888 wurde die Börse ins ehemalige Bürgerhospital in E 6, 1 verlegt und konnte damit erstmals eigene Räume beziehen.
Als sich das dortige Börsenlokal als zu klein erwiesen, entschloss man sich Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Neubau. Dazu wurde eine Börsenbaugesellschaft ins Leben gerufen, die vier Häuser in E 4, darunter das Hotel "Portugal" und das Gasthaus "Großer Mayerhof", erwarb. Nach Abbruch der Gebäude wurde im Sommer 1899 mit den Bauarbeiten begonnen. Im Sommer 1901 konnte die neue Börse bereits teilweise bezogen werden. Schließlich wurde der Neubau im April 1902 feierlich eingeweiht.
Da zahlreiche Mannheimer Bankiers und Handelsmänner jüdischen Glaubens waren, war die Börse ab Beginn der 1920er Jahre den Anfeindungen der Nationalsozialisten ausgesetzt. Im September 1922 kam es dort zu einem aus antisemitischen Motiven ausgeführten Anschlag, als ein Mitglied der NSDAP eine Handgranate im Börsensaal zündete. Glücklicherweise gab es keine Personenschäden. Der Sachschaden war jedoch beträchtlich.
Nachdem die Effektenbörse als Folge der Weltwirtschaftskrise 1934 geschlossen werden musste, enteigneten die neuen nationalsozialistischen Machthaber das Gebäude. Im Haus wurde die Städtische Hochschule für Musik und Theater untergeracht. Die Produktenbörse führte ihre Geschäfte in einem Haus im Friedrichspark weiter.
Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte die Produktenbörse wieder in ihr altes Gebäude zurückkehren, das seitdem aber auch von der Stadtverwaltung und der örtlichen Musikschule genutzt wird. In den 1950er Jahren diente der Börsensaal zeitweise dem Stadrat als Sitzungsraum. Heute werden an der Börse Getreide und Heizöl gehandelt.
- Mannheimer Journal, 18. September, 19. Dezember und 22. Dezember 1862.
- General-Anzeiger der Stadt Mannheim und Umgebung, 11. Oktober 1888 und 8. April 1902 (Abendblatt).
- Mannheim und seine Bauten, herausgegeben vom Unterrheinischen Bezirk des badischen Architekten- und Ingenieursvereins, Mannheim 1906, S. 218-221.
- Produktenbörse Mannheim (Hg.), 125 Jahre Börse Mannheim, Mannheim 1987.
- Harald Stockert, Aufmarsch und Bombenanschlag - Zur Frühgeschichte der NSDAP in Mannheim, in: Mannheimer Geschichtsblätter 17/2009, S. 87-100.
Das zweiflügelige Gebäude der Börse wurden in den Jahren 1899 bis 1902 nach Plänen der Mannheimer Architekten Georg Anton Karch und Josef Köchler erstellt. Das Bauwerk erhielt eine reichverzierte neobarocke Fassade aus Heilbronner Sandstein. Die Achse an den Planken täuscht eine größere Front vor, da ein Nachbarhaus, das der Börsenvorstand Emil Hirsch zur selben Zeit errichten ließ, in die Fassade einbezogen wurde.
Zentrum des Hauses ist der große Saal im Erdgeschoss, der ursprünglich von der Produktenbörse genutzt wurde. Er ist 29,50 Meter lang, 15 Meter breit und hat eine Höhe von rund 15 Meter. Zudem befanden sich im Erdgeschoss ein Raum für die Effektenbörse und ein Restaurant. Im ersten Obergeschoss waren ein Café, ein Billardsaal und ein Gesellschaftszimmer untergebracht. Im Geschoss darüber befand sich die Verwaltung der Börse. Im Keller gab es eine Kegelbahn, die Küche und Lagerräume. Damit sich der Publikumsverkehr des Gastronomiebetriebs und des Börsengeschäfts nicht berührten, gab es zwei getrennte Eingänge und separate Treppenhäuser.
Dem Börsengebäude gegenüber befindet sich das Anwesen D 4, 6. In dem in den 1870er Jahren umgebauten und vergrößerten Haus wurde 1863 das erste Mannheimer Börsenlokal eröffnet.
Im zweiten Weltkrieg wurde das Börsengebäude schwer beschädigt. Drei Achsen des Nordflügels wurden zerstört. Das Dach wurde nach dem Krieg verändert wiederaufgebaut. Der separate Eingang für den Gastronomiebetrieb, der sich an der Plankenseite in der dritten Achse von Westen befand, wurde geschlossen. Im Inneren blieben die Eingangshalle, das Haupttreppenhaus und der Raum der Effektenbörse erhalten. Die drei Eingangstüren sind ein Werk des renommierten Mannheimer Kunstschmieds Josef Neuser. Der große Börsenssaal wurde Ende der 1970er Jahre umgestaltet. Die Marmosäulen und die Gewölbte Dachkonstruktion aus Eisen sollen hinter den modernen Einbauten erhalten sein.