Möhl-Block – Wohnanlage im Stil der neuen Sachlichkeit
„Erbaut von der Gemeinnützigen Baugesellschaft im Jahre 1930, benannt nach Valentin Möhl, Oberbürgermeister der Stadt Mannheim von 1820-32.“ So steht es in Großbuchstaben an der Weidenstraße 20. Der Möhl-Block wirkt zeitlos und sparsam. Er ist der Prototyp einer Wohnanlage im Stil der Neuen Sachlichkeit.
Der quadratische Block ist wuchtig, mit glatten dunkelroten Klinkerfassaden, die bei trübem Wetter fast braun-schwarz wirken. Er ist fünf Geschosse hoch. Das Speichergeschoss unter dem Flachdach ohne überstehende Dachtraufe ist hell verputzt. Der Block wirkt dadurch wie ein Würfel.
Mit einer Seitenlänge von 80 Metern nimmt er den gesamten Raum zwischen den Straßen Augarten-, Windmühl-, Weiden- und Möhlstraße ein. An zwei Seiten gibt es schmale Vorgärten, an der Windmühlstraße sogar einen Kinderspielplatz außerhalb des Blocks.
Die Möhlstraße ist eine fünfspurige, stark befahrene Durchgangsstraße. Sie führt zur Autobahn, zum Neckarauer Übergang in die südlichen Stadtteile und zur Innenstadt. Gegenüber dem Möhlblock liegt das Straßenbahndepot, wo mit quietschenden Rädern frühmorgens und spät abends die Bahnen aus- und einfahren.
Architektur
Auf jeder Seite befinden sich vier Hauseingänge, die im Verhältnis zur Baumasse schmächtig wirken. Über den Eingängen lassen schmale senkrechte Fensterbänder Licht in die Treppenhäuser. Große rechteckige Fenster (110 auf jeder Seite) mit liegenden Sprossen belichten die Wohnungen. Es gibt keine farblich abgesetzte Fensterlaibung oder Klappläden. Die Fenster wirken wie in die Klinkerwand eingeschnitten. Auf der Seite zur Möhl- und zur Windmühlstraße sind wenige kleine Balkone angebracht.
Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass die senkrechten Fugen der Klinkerwand mit rotem Mörtel ausgefugt sind, sodass optisch eine starke waagrechte Betonung entsteht. Diese Dekoration ist typisch für die 1920er Jahre.
Innenhof
In der Weidenstraße 20 befindet sich die einzige Einfahrt in den fast ein Stockwerk tieferliegenden großzügigen Hofgarten. Ganz anders als von außen ist die Atmosphäre im vom Lärm abgeschirmten Innenhof. Freundlich und lebendig wirken die vielen Balkone, die mit ihren hellblauen Verkleidungen einen angenehmen Kontrast zum Rot der Klinker bilden. Keine parkenden Autos, keine Räder oder Sperrmüll stören. Große Grünflächen, Sitzbänke, ein Spielplatz und alte Bäume schaffen zu jeder Jahreszeit einen besonderen Eindruck. Ballspielen und Radeln ist hier nicht erlaubt. In der Weidenstraße 14 ist das Erdgeschoß mit einer städtischen Kinderkrippe belegt.
Wohnungen
168 Zwei- bis Vier-Zimmer-Wohnungen gibt es im gesamten Block. Auf jedem Stockwerk befinden sich eine Wohnung rechts und links der Treppe. Sie haben jeweils Fenster in den Innenhof, wie auch zu den Straßen. Auf den Balkon kommt man vom Wohnzimmer (früher von der Küche). Die Arbeitsküche ist kompakt und praktisch aufgebaut, z.T. gibt es Einbaumöbel. Die Ideen der „Frankfurter Küche“ sind hier eingeflossen. Änderungen in der Wohnkultur sind zu spüren.
Wohnen
Wohnungen, Kinderkrippe
Der Möhlblock lag 1930 am Rande der dicht bevölkerten Schwetzinger Stadt. Jenseits der Möhlstraße gab es Gewerbe und Kleingärten. Das Straßenbahn-Depot und die Milchzentrale existierten hier seit vier Jahren, außerdem lagen seit 1890 der Viehof und der Schlachthof in unmittelbarer Nähe, alles sehr verkehrsintensive Betriebe. Heute erinnern nur noch Straßennamen an diese Nachbarschaft.
Der Entwurf stammt vom Hochbauamt der Stadt Mannheim unter Leitung von Josef Zitzler. Bauträger war und ist die Gemeinnützige Baugesellschaft, GBG, die die Privatarchitekten Joseph Huge, Georg Krämer und Richard Siebert mit der Ausführung beauftragten.
Ursprünglich waren die Wohnungen für das Personal des 1926 erbauten Straßenbahndepots vorgesehen. Doch sehr viele Arbeitslose suchten ebenfalls nach günstigem Wohnraum. In der politisch und wirtschaftlich schweren Zeit Ende der 1920er Jahre machte die Stadt mit ihrer Gemeinnützigen Baugesellschaft GBG alle Anstrengungen, der Wohnungsnot zu begegnen. Der Mietpreis für drei Viertel der Wohnungen war so günstig, dass sie sich auch Erwerbslose leisten konnten. Für 52 – 74 qm zahlte man je nach Ausstattung 60 – 80 Mark (zum Vergleich: ein Hilfsarbeiter verdiente damals ca. 80 Pfennig pro Stunde).
Ausstattung
Um Baukosten zu sparen, verzichtet man auf jeglichen aufwändigen Schmuck. Der Bau „bekunde strengste Schlichtheit“, so die Neue Mannheimer Zeitung vom 26. Juli 1930. Dennoch waren die Wohnungen alle mit einem „Abort“ (Toilette) ausgestattet. „Auf Wunsch des Mieters wird von der Vermieterin ein Bad eingebaut. In diesem Falle erhöht sich der Mietpreis um monatlich 5 Mark. Öfen und Herde werden von der Vermieterin gestellt. In jeder Küche ist ein Speiseschrank eingebaut.“ Fast alle Wohnungen verfügten über einen Balkon. Wie historische Aufnahmen zeigen, gab es im Innenhof ein Planschbecken mit einer Steinskulptur. Der Hof sei so groß wie der Paradeplatz, schwärmt die Neue Mannheimer Zeitung vom 25. Oktober 1930, in der auch Fotos der Anlage abgebildet sind. Außerdem waren in der Ecke Windmühl- / Weidenstraße eine Mütterberatungsstelle und später eine Lesehalle angesiedelt.
Bauzeit von sieben Monaten
Tatsächlich wurde dieser große Bau in weniger als einem Jahr errichtet. „Die Arbeiten wurden ausschließlich an Mannheimer Bauhandwerker vergeben. Es konnten hierbei fast 300 Firmen berücksichtigt werden. Während der siebenmonatigen Bauzeit konnten täglich 200 Arbeiter Beschäftigung finden. Im Ganzen wurden etwa 35 000 Tagwerke bei Ausführung des Baublocks geleistet.“ Das berechnete am 25. Oktober 1930 die Neue Mannheimer Zeitung.
Lesehalle
Die Lesehalle eröffnete ein Jahr nach dem Bezug der Wohnungen. Es handelt sich dabei nicht um eine Leihbücherei, sondern um einen Lesesaal mit einem langen Tisch um den herum 35 – 40 Personen auf Stühlen platznehmen können um sich „ungestört der Lektüre widmen zu können“. 1.800 Bände, vorwiegend Belletristik, standen in der Freihandbücherei, deren Nutzung kostenlos war, außerdem 30 Zeitschriften und „alle Mannheimer Tageszeitungen und die wichtigsten Blätter aus dem Reich“. (NMZ vom 2.10.1931.
Nach einem halben Jahr konnte die Lesehalle bereits 629 Neuaufnahmen zählen, 75% waren erwerbslos. (NMZ 1.6.1932). In der NS-Zeit wurden die Öffnungszeiten der Lesehalle regelmäßig in der Zeitung veröffentlicht. Am 26.10.1941 berichtet das NSDAP-Blatt Hakenkreuzbanner vom „Aufbau der Mannheimer Volksbücherei“ vom „großartigen Ergebnis der Deutschen Volkbüchereiarbeit im neuen Deutschland“ und der Notwendigkeit, die Zweigstelle im Möhlblock einer „Reorganisation zu unterwerfen“.
Bombenschäden, Aufbau, Sanierung
Doch 1944 war es aus mit der Bücherei, denn Bomben zerstörten genau dieses Eckgebäude fast vollständig. Nach dem Krieg wurde die Ruine wieder aufgebaut, man bemühte sich, die glatten Fronten in genau der ursprünglichen Form herzustellen, aber die Reparaturstellen bleiben an den hellen senkrechten Mörtelfugen erkennbar.
Eine gründliche Sanierung und Modernisierung durch die GBG wurde von 2012-2015 durchgeführt. Sie umfasste den Anschluss an die Fernwärme, statt der Einzelöfen, neue Fenster und neue Bäder. In leerstehenden Wohnungen wurden die Elektrik und die Böden erneuert. Seit der Sanierung für insgesamt 7,6 Mio € wird der Möhlblock, von den Mietern wieder gut angenommen. (Bericht im MM vom 18.4.2012
- Mehrere Ausgaben der Neuen Mannheimer Zeitung (online einsehbar über MARCHIVUM)
- Mannheim und seine Bauten 1907-2007, Band 5, S. 74. Artikel von Andreas Schenk zu Wohnanlagen