Pfälzische Eiswerke Ludwigshafen

Wer heute in Ludwigshafen durch die Wollstraße an der Großen Blies fährt oder geht, ahnt nicht, dass hier zwischen Raschigstraße und Damaschkestraße einst eine wichtige Produktionsstätte stand, denn es gibt keinerlei Hinweise darauf. Gemeint sind die Pfälzischen Eiswerke der Gebrüder Kleinböhl, vormals H. Günther.

Sie waren Mitte der Zwanziger Jahre des 20. Jahrhundert die größte Eisfabrik der Pfalz und von Baden mit einer Maschinenleistung von 275 PS., eine halbe Million Calorien (1.). In einem Bericht aus dem Jahr 1928 heißt es: „Die Firma ist ein aus kleinsten Anfängen entstandenes Unternehmen und wurde im Jahre 1891 durch den inzwischen verstorbenen damaligen Inhaber H. Günther Mundenheim gegründet und vertrieb zunächst von einem Altrhein gewonnenes Natur-Klareis." 

Nutzung (ursprünglich)

Eiswerke

Nutzung (derzeit)

Nicht mehr existent

Geschichte

Teil der Belegschaft einschließlich der Firmeninhaber. Privatarchiv Autorin„Heute versorgt die Firma zum größten Teil die Hauptstädte Mannheim und Ludwigshafen sowie die Landgemeinden im Umkreis von ca. 60 Kilometer mit Roheis, wobei als Beförderungsmittel 16 Pferdefuhrwerke und 5 schwere Lastautos zur Verfügung stehen. Mit einer Tagesleistung von etwa 2500 Zentner Kunsteis und einer Natureisreserve von 120.000 Zentner geht die Firma in die Saison und steht heute an der Spitze der Eisfabriken der Pfalz und von Baden.“

Inwieweit die Mundenheimer Firma Günther im Zusammenhang oder in Beziehung zur Frankfurter Firma „Eis-Günther“, die 1898 die Natureiswerke J. F. W. Haack, die 1862 Frankfurt mit Eis belieferte, steht, bleibt unklar (2.).  Beide nutzten jedenfalls den „Eisbären“ als Werbezeichen.

Während in Berlin-Mitte ein vergleichbarer Betrieb – allerdings mit doppelter Leistung – nach fast hundertjähriger Tätigkeit 1995 eingestellt wurde, dann teils unter Denkmalschutz gestellt nun einer neuen Nutzung für Wohnung und Gewerbe zugeführt wird (3.), ist der Pfälzer Betrieb wie viele andere Zeugnisse der Industrie- und Kulturgeschichte Ludwigshafens so ganz in Vergessenheit geraten. Um der inhumanen Geschichtslosigkeit entgegen zu wirken, die nachfolgenden Erinnerungen.

II. Methoden der Kühlung

Trübeisgenerator Schnittzeichnungkennt man schon seit Jahrhunderten, seien es Eishäuser wie im alten Persien oder Eiskeller im alten Rom. Sie beruhen darauf, dass Natureis zur Kühlung genutzt wird und waren folglich stark Wetter abhängig. Dies änderte sich erst mit der Linde`schen Eismaschine von 1876 (4.), einem Verfahren, mit dem aus Wasser Natureis hergestellt werden kann.

Dieses wurde für das Kühlen von Getränken (besonders Bier) und von verderblichen Lebensmittel (speziell Fleischprodukte) benötigt, um mit der Verstädterung im Zuge der Industrialisierung mögliche Gesundheitsgefährdungen auszuschließen. Folglich gründeten sich seit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert überall in den Großstädten Eiswerke wie das in Ludwigshafen am Rhein. Es waren große Gebäudekomplexe mit Wasserbehälter, Maschinen- und Eisproduktionshallen sowie Fuhrpark.

III. Auf dem Foto des Pfälzischen Eiswerkes

Pfälzische Eiswerke Ludwigshafenvon 1925/26 ist die Ansicht des Betriebes von Süden, der Raschigstraße aus abgebildet. Stolz wird die Villa an der Wollstraße gegenüber der Großen Blies gezeigt, links daneben – nicht maßstabgerecht und teils auch nur gezeichnet – die Eisfabrik mit Turm, Maschinen- und Eiswerkhalle sowie im Hintergrund zwei Fahrzeughallen.

Die Abbildung gibt den Betrieb nicht so wieder, wie ich ihn in den 1950er und 1960er Jahren kannte; die Villa dagegen entspricht meiner Erinnerung.

Eingangstor zum ehemaligen Eiswerk. Privatarchiv AutorinZu dem gegen die Wollstraße hin eingezäunten Betrieb gelangte man damals von der Wollstraße aus durch ein massiv eisernes Tor, das auf einer Schiene lief und den angrenzenden großen befestigten Hof sicherte. Zumeist stand das Tor offen, nur am Wochenende wurde es geschlossen. Tatsächlich bestand es als Relikt noch bis vor wenigen Jahren.

Wenn man den Hof betrat, befand sich die Villa mit eingezäunten Vorgarten auf der linken Seite. Sie diente sowohl als Verwaltungsgebäude des Betriebes wie auch als Wohnstätte der Firmeneigner.

Wollte man in den frühen Fünfziger Jahren das Gebäude betreten, kam man zuerst an einer Portierloge im Treppenhaus vorbei. Dort musste man sich anmelden, bevor man die Treppe zum Hochparterre des Gebäudes hinaufsteigen durfte. In dieser Etage befanden sich linker Hand die Büroräume, also das Lohnbüro und die beiden Direktorenzimmer, und rechter Hand verschiedene Privaträume, darunter ein großer, in dem sich damals noch die hochbetagte Mutter der beiden Besitzer des Werkes aufhielt. Mein Vater schätzte sie sehr, sprach nur ehrfürchtig von der „Frau“ und stellte mich - vielleicht als Vierjährige - ihr als seine jüngste Tochter vor. Ich erinnere geschenkte Süßigkeiten und vor allem einen bunten alten Papagei, der von einer wippenden Schaukel krächzte. Beides war für mich als Kind reizend.

Im Treppenhaus führte eine breite Treppen in den ersten Stock der Villa, in der sich die Privaträume der Besitzer befanden, und noch eine Etage höher in den Dachstuhl. Anfang der 1960er Jahre bestand der Plan, den Dachstuhl, den ich zusammen mit meinem Vater besichtigte, zu einer Dreizimmerwohnung für unsere Familie auszubauen. Doch meine Eltern waren davon nicht begeistert; auch wollte mein Vater einen festen Feierabend haben und sich nicht ständig auf Abruf bereit halten. Angesichts neuer Entwicklungen der Kältetechnik und der Krise des Unternehmens blieb dieser dieses Vorhaben nur angedacht.

IV. In der alten Villa

Die sogenannte „kleine Villa“ an der Wollstraße. Privatarchiv Autorinlebte damals nur noch Karl Kleinböhl mit seiner Frau, während sein Bruder Gustav Kleinböhl ein neues Haus, die „kleine Villa“, die neben der alten stand, bewohnte.

Wahrscheinlich wurde G. Kleinböhl das Gebäude dann doch zu groß: die obere Etage - ausgenommen eines separaten Zimmers für die erwachsene Tochter – war vermietet an eine Familie, die aus Duisburg zugezogen war und die Vertretung von Schöller-Eis (5.) übernommen hatte. Die Familie hatte zwei Kinder, ein Mädchen und einen Jungen, Harald. Er war viele Jahre lang mein Spielkamerad. Während die alte herrschaftliche Villa abgerissen wurde, steht dieses Haus noch.

V. Die Fabrik selbst

zeigte sich vom Hof aus als langer Gebäuderiegel: er beherbergte drei überdachte Ladestationen für Eisstangen, das Tiefkühlhaus und die Pferdeställe. Die Eiswagen, seien es Pferde bespannte oder motorisierte, wurden mit der Ladefläche zur Rampe gefahren, um die fertigen Eisstangen zu laden. Diese Stangen wurden in einem Eisgenerator mit mechanischer Einrichtung für Füllung, Entleerung und Verschiebung der Zellenreihen erzeugt. Im anschließenden Tiefkühlhaus, wie ehemals in Eiskellern das ganz Jahr mit Eis gefüllt, die Minustemperaturen erzeugten, lagerten vor allem örtliche Metzger Fleisch ein. Wir Kinder durften den Raum, dessen Tür nachhaltig isoliert war, gar nicht und die Arbeiter und Kunden nur mit warmhaltenden Jacken bekleidet betreten.

Nach dem Eingang zum Tiefkühlhaus führte ein Treppenaufstieg zu den Aufenthalts- und Waschräumen für die Beschäftigten hinauf. Diese Räume wurden jedoch kaum mehr benutzt und verwahrlosten zusehends. Daran schloss sich der Pferdestall für mehrere massige Kaltblüter an. Als Kind erlebte ich sie noch. Am Ende des Gebäuderiegels befand sich eine große Halle, deren Dach wahrscheinlich während des Krieges zerstört worden war. Dort konnten die Fahrzeuge ehemals witterungssicher untergestellt werden. Später nutzte die Firma Coca-Cola, die einen Abfüllbetrieb auf dem Eiswerkgelände errichtet hatte, die Halle, um ihre Getränkekisten zu stapeln.

Diese Halle hatte einen großem Reiz: am Ende gab es eine kleine Öffnung, die mit einem Metallschieber verschlossen werden konnte. Sie führte direkt in den Hühnerhof unseres Nutzgartens, der sich auf der Rückseite des benannten Gebäuderiegels in windgeschützter Lage befand. Aus dieser Öffnung reichte uns manchmal an heißen Sommertagen unser Vater Speiseeis und später kleine gekühlte Cola-Flaschen aus dickwandigem Glas. Zu Beginn dieser Gebäudefront und in Nähe der alten Villa befand sich ein weiterer Treppenaufgang, über den man zur Werkskantine und zur Wohnung des Kantinenwirts gelangte. Darunter führte ein Durchgang zum eigentlichen Herzstück der Fabrik: der Maschinenhalle (6.).

Hier herrschte mein Vater, Willi Gensinger, als Maschinist. Er arbeitete in einer eigenen Werkstatt, im Freiraum davor wurden Schweißarbeiten verrichtet, die dafür benötigten Gasflaschen und Kolben waren besonders geschützt. Den Maschinenraum erreichte man über einen Eingangsraum, der auch hoch in einen Turm führte und der wahrscheinlich ursprünglich als Wasserturm fungierte. Für ich war es ein besonderes Abenteuer, wenn mich mein Vater tatsächlich auf die Aussichtsfläche des Turmes mitnahm.

Der Maschinenraum selbst war groß, gefließt und hell. Er beherbergte drei große Schwungräder. Seitlich ging es in einen abgesonderten speziell gesicherten elektrischen Schaltraum, von dem aus die Maschinen mit elektrischem Strom versorgt wurden.

VI. Blickte man durch die großen Glasfenster

sah man direkt auf den langen „Hühnerhof“ der Fabrikbesitzer. Hier tummelten sich Hühner, Enten und Truthähne, selbst ein Pfauenpärchen stolzierte durch den Garten, wie überhaupt auf dem um die Fabrik liegenden Land Garten- und Obstbau von einigen Beschäftigten des Betriebes wie von meinen Eltern betrieben wurde, wie auch selbst von einer Gattin des Fabrikinhabers.

Um die Eisfabrik gab es Wiesen und Ackerland. Auf einer der Wiesen in Richtung Heuweg befanden sie werkseigene Brunnen, aus denen das Eiswerk sein Wasser zur Eiserzeugung bezog. Das Brauchwasser wurde in die beiden Gewässer, der Großen Blies und der heute ausgetrockneten Kleinen Blies, geleitet. Auch die Kleine Blies diente uns Kindern als Spielplatz. Dort schwangen wir uns mit einem Rundlauf über das Ufer oder nutzten, was verboten war, den alten Kahn für eine Bootsfahrt.

Etwas erhöht über der Kleinen Blies stand noch die Fahrzeughalle des Eiswerkes, in dem die Fahrzeuge, Opel Blitz und Pferdewagen, überholt wurden. In den 1950er Jahren hatten US-Truppen im Zusammenhang mit einem großen Manöver 1954 auch ihre Schlauchboote, mit denen sie den Rhein überquerten, untergestellt. In diesem hinteren Gelände des Eiswerkes befand sich später, in den 1960er Jahren, eine Abfüllanlage von Coca-Cola. Dort abeitete auch ich im Sommer 1966 und 1967 in den Schulferiern am Band. 

Auch dieses Werk stand viele Jahre ungenutzt und ist heute abgerissen.

VII. Abschließend sei noch daran erinnert,

dass auf dem Gelände hinter dem Eiswerk zum Heuweg hin während des Zweiten Weltkrieges ein Bunker errichtet worden war. Er stand noch lange nach dem Krieg und wurde von uns Kindern wie eine Burg erstürmt. Es gab dazu auch noch einige Flachgebäude, wahrscheinlich ehemalige Wehrmachtsunterkünfte, die nach Kriegsende als Behelfshäuser bzw. -wohnungen genutzt wurden.

Fußballmannschaft Pfälzische Eiswerke in den 1930er Jahren. Privatarchiv AutorinUnd hinter diesen Baracken zogen sich zur Kleinen Blies hin die Überreste eines firmeneigenen Fußballplatzes. Tatsächlich hatte das Pfälzische Eiswerk, auch wenn heute alle Erinnerungsspuren verwischt sind, eine betriebseigene Fußballmannschaft – Die Pfälzischen Eisbären.

von Wilma Ruth Albrecht

Quellen:

Editorische Hinweise
Wilma Ruth Albrecht ist Sprach- und Sozialwissenschaftlerin (Dr.rer.soc., Lic.rer.reg.) mit Arbeitschwerpunkten aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Sie veröffentlichte zuletzt die Bücher Max Slevogt 1868-1932 (Hintergrund Verlag 2014), PFALZ & PFÄLZER. LeseBuch Pfälzer Volksaufstand 1849 (Verlag freiheitsbaum 2014) und ihr vierbändiges Werk ÜBER LEBEN. Roman des Kurzen Jahrhunderts (Verlag freiheitsbaum: Edition Spinoza 2016-2019). Alle Rechte bei der Autorin (2019)

  1. Text und Fotos nach: Deutsche Stadt – Deutsches Land. Bd. XI: Die Pfalz. Ihre Entwicklung und ihre Zukunft. Hg. Erich Köhrer; Franz Hartmann: Berlin. DVA; 1926, S. 200.
  2. www.berlin-eisfabrik.de/Eisdt/Frankfurt.html
  3. www.berlin-eisfabrik.de/Technik/Eisherstellung/Eisherstellung.html
  4. de.wikipedia.org/wiki/Theo_Schöller
  5. www.berlin-eisfabrik.de
Autor*in
Wilma Ruth Albrecht ist Sprach- und Sozialwissenschaftlerin (Dr.rer.soc., Lic.rer.reg.) / Web-Bearbeitung Lutz Walzel, RNIK
Objektnummer
412
Adresse
Wollstraße
67065 Ludwigshafen-Gartenstadt
Geo
49.472564355937, 8.4155634182167
Kontakt

Wilma Ruth Albrecht 
dr.w.ruth.albrecht@gmx.net