Polat-Bau – Ehemalige Gipsfabrik

Wie aus der Zeit gefallen sieht das unverputzte Backsteingebäude aus, in klassischer Gründerzeit-Architektur, mit einem kleinen Bürovorbau, die Fassade mit Klinkermuster verschönt. Das kann man auch noch unter dem abblätternden Anstrich erkennen. Zwei große Schornsteine ragen auf, die Ornamente aus farbigen Ziegelsteinen tragen. Rechts entlang der Grundstücksgrenze ist im Neubau das Büro von Polat-Bau untergebracht, dahinter ist erkennbar, dass ein Brand einen älteren Anbau teilweise zerstört hat. Vom Wasser aus sieht man, dass an dem Gebäude nicht nur der Zahn der Zeit nagt, sondern dass hier Teile eines niedrigeren Anbaus abgerissen wurden und dass ein Raum mit großen Glasfenstern eingebaut wurde. Das Haus und Teile des Geländes dienen als Lager, bis andere Nutzungen konkret geplant und umgesetzt werden können.

Nutzung (ursprünglich)

Gipsindustrie und vielfältige gewerbliche Nutzung

Nutzung (derzeit)

Lager und Büro eines Bauunternehmens

Geschichte

Das 1900 für die „Rheinische Gipsindustrie“ gebaute Anwesen erfährt innerhalb kurzer Zeit vielfältige und sehr unterschiedliche Nutzungen: Es wird Kunstlederfabrik, Getreidepresshefe- und Spiritusfabrik. Das Gelände gehört der „Rheinische Industriegesellschaft mbH“ mit Sitz in Bonn, die auch das Grundstück Nr. 41 besitzt. Aus den Akten ist nicht zu erkennen, welchem Gewerbe diese Gesellschaft zuzuordnen wäre. Nach heutiger Diktion ist sie vermutlich ein „Investor“. 1913 zieht Karl Renninger zur Miete mit seiner Flaschenkastenfabrik ein, die er bisher in der Lagerstraße betrieben hat. Von der Eisenwarenfabrik schwenkt er 1925 auf Chemie um, er stellt jetzt Metallschutzfarben her.

Der Nazi-OB als Farbenfabrikant

1933 wird Renniger von den Nationalsozialisten zum Oberbürgermeister ernannt, ein Amt das er bis 1945 mit großer Härte gegen politische Gegner und jüdische Bürger führt. Als Oberbürgermeister der Stadt Mannheim habe er die Geschäftsführung an einen Mitarbeiter übergeben (1). Über die Erfolge der Firma Renninger gibt es widersprüchliche Aussagen. Renninger sei 1932 wirtschaftlich mit seiner Fabrik vor einer Pleite gestanden, was sich aus seiner Steuererklärung ergäbe (2). Eine andere Quelle berichtet, dass die Metallwarenfabrik (die es nicht mehr gab, Anmerkung d. Verf.) in späteren Jahren so gut floriert habe, dass Renninger von ihr leben und seine Bezüge als Oberbürgermeister regelmäßig für 300 bedürftige Kinder zur Verfügung stellen konnte (3).

Renninger wird von der NS Wirtschaftsgruppe Chemie zum Leiter der Fachgruppe Mineralfarben ernannt und kann in der Zeit der Kriegswirtschaft bei der Rohstoffzuteilung „die Interessen unseres Kartells mit Erfolg vertreten“ (Renninger 1951).

Nach dem Krieg wird Karl Renninger vor der Spruchkammer als Hauptschuldiger angeklagt, aber zum „Belasteten“ heruntergestuft und zur teilweisen (25 %) Einziehung seines Privatvermögens, mindestens 10 000 DM und zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt, die mit der Gefangenschaft als abgegolten galten (4). Er stirbt 1951 im Alter von 70 Jahren.

Auch nach dem Krieg vielfältige Nutzung

In den 1950er Jahren kauft sein Sohn Roland Renninger das Gelände von der „Grundstücks-Gesellschaft mbH“, ebenfalls ein Unternehmen, das das Gelände in den 1940er Jahren erworben hatte. (Zur Rolle der „Grundstücks-Gesellschaft mbH“ wäre eine weitere gründliche Nachforschung sinnvoll.)

Die Farbenfabrik von Renninger wird nur noch in den 1950er Jahren weitergeführt. Danach betreiben mehrere Mieter teilweise gleichzeitig ihre kleinen Firmen: eine Spedition, eine Glaserei und Fensterbaubetrieb, eine Mineralmühle, ein Palettenhandel und ein Baugeschäft.

Bei so intensiver Umnutzung gibt es Anbauten und Abrisse, Feuer- und Wasserschäden, aber die Bausubstanz der ursprünglichen Gipsfabrik ist noch immer erkennbar. Seit 2010 gehört das Anwesen dem Hoch- und Tiefbau Unternehmer Polat.

Quellen:
  • 1. Stadtarchiv Mannheim, S 1 / 1753, RNZ 29. 12. 1981, Autor nicht ersichtlich
  • 2. Stadtarchiv S 1 / 1753, Mannheimer Morgen Nr. 41, Leserbrief des Landtagsmitglieds G. Zimmermann vom 8. 4. 1948
  • 3. Stadtarchiv S 1 / 1753, Rhein-Neckar-Zeitung Nr. 196, 28. /29. 8. 1976, Walter E. Senk, Vor 25 Jahren starb Karl Renninger.
  • 4. Stadtarchiv S 1 / 1753,, Amtsblatt 16. 9. 1949
  • Stadtarchiv, Kleine Erwerbungen 468, Renninger Carl, Gedanken über meine Amtszeit als Oberbürgermeister der Stadt Mannheim 1933-45 mit einem Vorwort von Roland Renninger, Privatdruck 1956
  • Adressbücher der Stadt Mannheim, Diverse Jahrgänge
  • Führer durch die Industrie- und Hafenanlagen Mannheims, 1909
Eigentümer
Polat-Bau
Erbauer
Rheinische Gipsindustrie
Bauzeit / Umbauten
1900
Autor*in
Barbara Ritter, Recherche teilweise: Gisela Krolage-Lung
Objektnummer
229
Adresse
Industriestraße 43
68169 Mannheim
Geo
49.514322, 8.470425
Kontakt

Polat Bau GmbH
Industriestrasse 43
D-68169 Mannheim

Tel.: 06 21 - 462 93 00
Fax: 06 21 - 462 93 84
Email: info@polat-bau.de
Geschäftsführer: Sait Polat

Zufahrt

Nächste Haltestelle des ÖPNV:
Bus: Diffenébrücke, Straßenbahnen: Luzenberg

GYPSUM FACTORY CHIMNEYS

POLATBAU

The un-rendered brick building, with its small attached office, seems like something from another age. Its facade is decorated with structured brick patterns, and the two tall chimneys have ornaments made of coloured bricks. Red and yellow bricks have been used in a style typical of industrial architecture in 1900. The facade of the former Bettfedernfabrik (feather-and-down factory)  is designed in a similar manner.

There is hardly a building in the industrial harbour that remains so complete, yet at the same time is so dilapidated.

Within only a short time, the premises built in 1901 for the Rheinische Gipsindustrie (gypsum) found a wide range of uses. These included an artificial leather factory, an artificial silk factory, a pressed-yeast and a spirit factory. In 1913, Charles Renninger joined with his bottle-crate factory, which was previously in the Lagerstraße 9. During the First World War, he produced firing-pins for shells and cartridge cases. In 1925, he changed from steel to chemical products and from then on produced anti-corrosion paints. In 1933, he was appointed Mayor by the Nazis, a position which he held until 1945. He used this position to act with extreme harshness towards political opponents and Jewish citizens. The NS-Economic Group of Chemical Industries elected Renninger to head the expert-group Mineral Paints. Renninger was able, in times of the war economy, „to successfully represent the interests of our cartel” in the allocation of raw materials. (Renninger 1951).

The water side shows clearly that it is not only the ravishes of time that are at work here. Looking at the buildings, it is obvious that they have been converted many times. The property, with its changing tenants over decades, was owned, first by the Rheinische Industrie-Gesellschaft mbH (industrial company) and later by the Grundstücks-Gesellschaft mbH (land company). Most of the tenants became insolvent in a relatively short time. Even the tenant Charles Renninger was in debt in the early 1930s. Only after his death in 1951, did his son buy the property and leased all of it.

From the 1950s, several tenants operated their companies on the site: a removal company, a glass and window manufacturer, a mineral mill, a palette factory, a car repair shop and a building company. A fire later completely destroyed the roof.

Since 2010, the property has been owned by Hoch- und Tiefbau-Unternehmer Polat (building and civil engineering contractor).

Image

In a photo from 1909, the three-storey building, which was used at the time as a grain-yeast factory, towers over the neighbouring buildings. Both chimneys still exist today. In the middle of the industrial harbour, the timber market on the river can be seen. On the right is the Pfälzischen Mühlenwerke (mill), in the foreground the workshops of the structural and civil engineering works Spangenberg.

Denkmalschutz
Nein
Barrierefrei
Nein