Rhenania-Lagerhaus im Industriehafen Mannheim - heute Rhenus
Der Rhenania-Speicher am Mannheimer Industriehafen ist ein klassisches Getreidelagerhaus. Ein Teil ist mit Schüttböden für offenes Getreide ausgestattet – erkennbar an Fensterreihen und relativ niedriger Geschoßhöhe, der andere Teil hat keine Fenster, im Inneren sind senkrechte Silozellen, in denen ebenfalls Schüttgut gelagert wurde.
Das Lagerhaus im Industriehafen wurde 1910/11 gebaut, also wenige Jahre nach der Gründung des Unternehmens Rhenania. Hermann Hecht, einer der Gründer der Rhenania, beschreibt es folgendermaßen: „Das modernste Getreidesilo am Rhein mit einer Kapazität von 15.000 Tonnen, einer Werfthalle für 3.000 Tonnen verpackte Güter mit 1 Elevator und 1 Kran, die zusammen 150 Tonnen Stundenleistung hatten, für rund 1 Million Mark.“ (Quelle 4) Von Anfang an diente es der Lagerung von Getreide.
Nicht nur von seiner baulichen Struktur ist der Rhenania-Speicher zweigeteilt. Es sind ganz offensichtlich auch unterschiedlich Bauzeiten. Der westliche Teil mit seinen neun Stockwerken aus dunkelrotem Backstein ist nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut, während der östliche Silo-Teil noch original erhalten blieb. Er ist in gründerzeitlichem Stil mit dunkelroten und gelben Ziegelsteinen gebaut, einige Jugendstilelemente sind erkennbar. Auf der Giebelseite steht „Rhenania“ mit großen Lettern. Nur dieser Teil des Gebäudes steht unter Denkmalschutz.
Das Speicherhaus hat eine Lagerkapazität von 15.000 Tonnen. Seit 1975 bis 2016 diente es ausschließlich der Zwischenlagerung von Ölsaaten für den benachbarten Verein Deutscher Ölfabriken (heute: Bunge), mit dem das Lagerhaus über eine Traverse verbunden ist. Eine mächtige Betonkonstruktion an der Wasserseite trägt die waagrecht verlaufende ummantelte Bücke, die auf einem Laufband die Ölsaaten auf das andere Ufer des Industriehafen transportierte.
Viele moderne und eher historische Entladeeinrichtungen für Schiffe und Schienenverkehr stehen am Kai, darunter eine Waggon-Selbstentladeanlage sowie zwei alte Krane, die beide aus den 1950er-Jahren stammen und bis 2016 noch voll in Betrieb waren.
Seit der Vertrag 2016 mit Bunge ausgelaufen ist, steht das Rhenania-Lagerhaus leer. Es ist schwer, einen Nachmieter zu finden, denn der Bedarf an Einlagerung von Getreide oder ähnlichen Schüttgütern ist gering. Außerdem sind die technischen Anlagen nicht mehr auf dem modernsten Stand. Es wird dringend eine Nachnutzung gesucht.
Lagerhaus für Getreide
Leerstand
Der Rhenania-Konzern
Die gut 100-jährige Geschichte des Unternehmens Rhenania beginnt in Mannheim und ist äußert bewegt. Die international ausgebildeten Getreidehändler Jacob Hecht (1879–1963) und Hermann Hecht (1877–1969) gründen am 5. März 1908 in Mannheim die deutsche „Rhenania Schifffahrts- und -Speditions-Gesellschaft mbH“. Fünf Jahre lang hatten sie darauf hingearbeitet. Das Ziel ist der Einstieg in die Rheinschifffahrt mit eigenen Schiffen und Lagerhäusern. Doch zunächst haben die beiden Brüder aus einem Kraichgauer Lehrerhaushalt nur gute Beziehungen und unternehmerischen Eifer.
Mühsamer Anfang
Hermann Hecht, der seit 1903 die Schiffsagentur seines Onkels leitet, kauft 1908 am Mannheimer Verbindungskanal (Nr. 9a) die Anlagen des Spediteurs Leon Weiss. Das Gründungskapital von 300 000 Mark bringen Freunde und seine Tante auf. Die Spedition Weiss hatte nur Sackgut transportiert. Hecht baut 1909 am Verbindungskanal einen ersten Speicher für die lose Lagerung von Getreide und die ersten zwei elektrischen Kranen.
Der Bruder Jacob Hecht gründet 1906 in Antwerpen die Société Belge de Navigation Fluviale, die ihr Operationsgebiet rasch über Belgien hinaus auf den Rhein ausdehnt. An dieser Gesellschaft ist die Rhenania Mannheim beteiligt.
1909 setzen sie als reichsweit erstes Schifffahrtsunternehmen am Rhein Elektrokräne ein. Im gleichen Jahr erwerben die Hechts ein Lagerhaus und eine Speditionsgesellschaft (Allgemeine Speditionsgesellschaft AG). 1910/11 folgt der Bau des modernsten Getreidesilos am Rhein, im Industriehafen Mannheim, mit einer Kapazität von 15.000 t.
Netzwerker
Das Unternehmen gedeiht dank der unternehmerischen Initiativen der Brüder Hecht. Sie sind geniale Netzwerker. Ihre freundschaftlichen und teilweise verwandtschaftlichen Beziehungen zu den maßgebenden Getreideverladern, Mühlen und Banken nützen ihnen dabei. Schon bald gründen sie Niederlassungen in Basel, Duisburg, Straßburg, Ludwigshafen, Rotterdam und Antwerpen.
1913 steigt der bayrische Staat in das Unternehmen mit ein (die Pfalz mit Ludwigshafen sind damals bayerisch). Die Landesregierung wollte durch den Einfluss auf die Schifffahrt die Konkurrenz zu den Staatsbahnen im Griff behalten. Bei den Verhandlungen hatten Hermann und Jacob Hecht bereits auf ihre jüdische Herkunft explizit hingewiesen. Mit dem Kapital aus Bayern werden viele Rheinreedereien, Umschlags- und Lagerhausgesellschaften in Deutschland geschaffen, die in der Rhenania-Schifffahrtsgruppe in Mannheim zusammengefasst sind.
Seit 1913 ist Hermann Hecht im Vorstand des „Vereins zur Wahrung der Rheinschiffahrtsinteressen e.V.“, der sich zum heutigen „Verein für europäische Binnenschifffahrt und Wasserstraßen“ entwickelte.
Im Ersten Weltkrieg transportiert die Rhenania Kriegsgüter auf neu erworbenen schnellen Räder- und Schleppbooten, die zentral von Berlin aus koordiniert werden. Als Folge des Friedensvertrages von Versailles muss die Rhenania 17,5 % ihres Schiffsraumes abgeben und die Tochtergesellschaft Société Belge Navigation Fluvial gänzlich an eine holländisch-belgische Gruppe abtreten.
Aufschwung nach den Ersten Weltkrieg
1920 lässt sich Jacob Hecht in Basel nieder und gründet dort die Neptun Transport- und Schifffahrts AG, die bald zur größten Schweizer Schifffahrts- und Lagergesellschaft wird.
Der Rhenania-Konzern baut mehrere moderne Getreidesilos am Rhein, übernimmt oder mietet sie (Ludwigshafen, Straßburg, Kehl, Worms, Heilbronn nach der Neckarkanalisation). Durch Neugründungen und Mehrheitsbeteiligungen an anderen Firmen (unter anderem an der Ludwigshafener Walzmühle und der Heidelberger Herrenmühle) kann der Verlust durch den Krieg rasch ausgeglichen werden. 1920 gehören zur Unternehmensflotte über 100 Kähne und 20 Dampfer. Am Ende der 1920er Jahre hatte der Konzern 50 Niederlassungen und war in Europa das größte Unternehmen seiner Branche.
Vertreibung in der NS-Zeit
Direkt nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten beginnt 1933 eine Kampagne gegen die jüdischen Gebrüder Hecht. Die Konkurrenten versuchen ihnen alle staatlich beeinflussten Aufträge abzujagen und den Konzern zu ruinieren. Durch Verkauf von weiteren Anteilen an den Bayerischen Staat übernimmt dieser die Majorität. Hermann Hecht arbeitet weiter als Generaldirektor in Mannheim. Doch der Druck wächst. „Die Vertreter der Bayerischen Regierung in unserem Aufsichtsrat, die trotz der Zeitläufte wohlwollend, teilweise korrekt gegen mich waren, haben sich allmählich, im letzten halben Jahr 1937, mir gegenüber ablehnend benommen“ (Quelle 4: H. Hecht, Die Entstehung des Rhenania-Konzern, S. 53). Am 15. Februar 1938 tritt er als Vorsitzender des Aufsichtsrats zurück. Im Juni 1938 werden die Anteile der Hechts an den ehemaligen Konkurrenten Haniel verkauft. Ein Schnäppchen: Für 1 Million Mark erhält dieser die Majorität an einem Konzern, der einen Wert von 15 Millionen Goldmark hat. Auf seinen „Verkaufserlös“ Hecht eine ganze Reihe von Sondersteuern und Abgaben zahlen, z.B. die 25 % Reichsfluchtsteuer und 25 % Judenabgabe, und er erhält das Geld nur als „Sperrmark“, mit dem er im Ausland nur wenig anfangen kann. Nachdem sein Haus in der Pogromnacht im November 1938 verwüstet wurde, entschließt er sich mit seiner Frau nach Basel auszuwandern. Von dort ging er 1941 in die USA, wo schon seine beiden Töchter mit ihren Familien lebten.
Rückerstattung nach 1945
Nach Kriegsende kümmern sich Jacob Hecht und dessen Sohn Rudolf „Reuben“ Hecht, die während der NS-Zeit in der Schweiz geblieben waren, erfolgreich um die Rückerstattung des Unternehmens. Bereits 1946 gibt es einen ersten Kontakt zwischen Jacob Hecht und Haniel wegen der Rückerstattung, und am 12. Februar 1949 einigen sich die Hechts und Haniel in einem Vergleich darauf, dass die Anteile an der Rhenania wieder an die Familie zurückgehen. Sie besitzt danach 50,125 % des Rhenania-Kapitals. Außerdem wird Hermann Hecht, der nicht nach Deutschland zurückkehrt, ab 1950 Ehrenpräsident der Rhenania, sein Bruder Jacob Hecht und dessen Sohn Rudolf sind im Aufsichtsrat des Konzerns.
Die Rhenania-Gruppe ist schon 1953 mit 40 Niederlassungen und über 800 Mitarbeitern eines der größten westeuropäischen Unternehmen im Binnenschifffahrtssektor. Regionalgeschichtlich von Interesse ist, dass die Rhenania seit 1952 Getreide im Turmsilo der ehemaligen Hildebrand-Mühle in Weinheim einlagert. (siehe Hildebrandmühle in Weinheim). In den 60er-Jahre werden Lkw und Schiene immer wichtiger und der Container revolutionierte das Transportwesen. Auch hier ist Rhenania ein Vorreiter: 1968 eröffnen sie in Mannheimer Mühlauhafen das erste Containerterminal in einem deutschen Binnenhafen.
1973 entwickelte Rhenania als erstes deutsches Unternehmen ein komplettes Logistikprogramm für den Lebensmittelkonzern Knorr-Maizena (heute Unilever Best Foods). Im Rheinauhafen wird von Rhenania 1983 die erste Roll-on-roll-off-Rampe errichtet. Bis heute gehen im „Ro-Ro-Service“ die John-Deere Traktoren ab Mannheim per Binnenschiff zum Kunden.
Wiederholte Verkäufe in den letzten 30 Jahren
1989 wird das Unternehmen von der britischen P&O übernommen und breitet sich auch in Ostdeutschland aus. Ein weiteres Highlight ist im Jahr 1993 der Bau eines hochmodernen Logistikzentrums im Mannheimer Hafen, das eine multimodale Verknüpfung von Lkw, Bahn und Schiff ermöglicht. Der traditionsreiche Name wird in der „Rhenania Intermodal Transport GmbH“ (Planung und Durchführung multimodaler Transportsysteme – Teil der P&O Trans European-Gruppe) fortgeführt.
Von 2003 bis 2011 gehört das Unternehmen zur britischen „Wincanton“, die es 2011 an die Rhenus-Gruppe verkaufte. Die Rhenus-Gruppe ist 1912 als bedeutendes Rheinschifffahrtsunternehmen mit Sitz in Frankfurt und Filialen in Mannheim und Rotterdam gegründet worden. Das operative Geschäft in Mannheim besteht zu 70 % aus Logistikdienstleistungen. Zweites operatives Standbein in Mannheim sind die intermodalen Verkehre, also Transporte mit mehr als einem Verkehrsmittel. Der Containerterminal im Mühlauhafen spielt dabei eine wichtige Rolle. Über 65.000 Container werden im Terminal Mühlauhafen zwischen Wasser, Schiene und Straße umgeladen.
- Die Gondelsheimer Brüder Hecht – Gründer des Binnenschifffahrtsimperiums „Rhenania“; von Bürgermeister Markus Rupp (PDF-Datei)
- Albert Gieselser: www.albert-gieseler.de
- Der Mannheimer Hafen, Herausgeber: Südwestwerbung GmbH Mannheim
- Hermann Hecht: Die Entstehung des Rhenania Konzerns, Die ersten dreißig Jahre. Mannheim 1983; herausgegeben aus Anlass des 75-jährigen Jubiläums der Rhenania. Herrmann Hecht hat seine Erinnerungen 1940 im Schweizer Exil geschrieben.