Schumacher – ehemalige Kartonagen- und Maschinenfabrik im Mannheimer Industriehafen
Anthrazitfarbene Eisentore führen in einen aufgeräumten Hof mit teuren Limousinen, Rasenflächen und getrimmten Hecken und Bäumen vor einer alten Industriehalle. Angeschlossen ist seitlich ein kubischer Neubau. Das Glastreppenhaus zwischen den zwei weißen, zum Hof hin fensterlosen Gebäudeteilen gibt den Blick auf das Wasser frei. Im nächsten Hof steht ein merkwürdiges Gebäude: fünf Stockwerke Beton und Glas auf Stelzen – quasi hochhackig. Ab und zu laufen Frauen zielstrebig zwischen den Häusern hin und her. Hier ist der Firmensitz des weltweit bekannten Modelabels Schumacher. „Der Teufel trägt Prada“ – für diesen Film hat die Modedesignerin Dorothee Schumacher die Ausstattung gestellt.
„Schumacher“ steht auf der Stirnseite des kleinen Hauses an der Straße; es hat sparsamen gründerzeitlichen Bauschmuck, die Ecken sind durch rote Backsteine betont. Die Lettern „Schumacher“ prangen ebenso auf Schildern, die den Hof wie eine spanische Wand teilen.
Die sehr nüchterne, etwa 100 Jahre alte, historische Halle ist aus groben, gelben Backsteinen gebaut, das Betonskelett ist sichtbar und durch einen hellgrauen Anstrich betont. Das Metall der gefachten Fenster ist dunkelgrau gestrichen. Man kann die hölzerne Dachkonstruktion erkennen. Bei Nacht ist diese Halle an beiden Giebeln fantastisch illuminiert – gut zu sehen von der Diffenébrücke.
Im Gegensatz dazu steht das hohe Haus. Es ist vermutlich aus den 1960er-Jahren und komplett aus Glas und Beton, der schon etwas angenagt wirkt. - Die matten Industrieglasfenster ziehen sich dicht an dicht rings um den Bau und geben freimütig den Blick auf Kleiderstangen und Kartons frei. Weitere Industriebauten neueren Datums gruppieren sich an der Straße. Zum Wasser hin ist alte Bausubstanz zu einem Showroom umgenutzt. Durchgestylte Blumenkübel betonen die coole Architektur.
Von der ursprünglichen, 90 Jahre dauernden Funktion als Fabriken für Kartonagen und für Maschinen ist nichts mehr zu erkennen. Die Nachbargrundstücke am südöstlichen Teil des Industriehafens sind gekennzeichnet von historischen Fabrikgebäuden, Ruinen, rostenden Wellblechhallen und chaotischen Lagern. Hier treffen die Gegensätze noch stärker aufeinander.
Eine Kartonagen- und eine Maschinenfabrik
Firmensitz der Modelabels Schumacher
Der Firmensitz von Schumacher umfasst zwei Grundstücke, die Nr. 47 und 49 der Industriestraße, die jeweils eine eigene Geschichte haben.
Kartonagenfabrik für über 80 Jahre auf Nr. 47
Nachdem der Industriehafen auf der stadtnahen Seite um 1900 fertiggestellt war, kauft zunächst Friedrich Brenneis für seine Fenster- und Türenfabrik einen Bauplatz von 2437 m² an der Industriestraße 47 (Quelle 1).
Doch schon wenige Jahre später, verkauft er sein Anwesen an Alfred Hirschland für dessen „Oberrheinische Cartonagenfabrik“. Diese Kartonagenfabrik ist 1908 aus der Verpackungsabteilung der Korsett- und Miederfabrik Herbst – besser bekannt als „Felina“ – hervorgegangen. Eine gewisse Nähe zum modischen Drunter und Drüber gibt es also schon früh (Quelle 2). Mehr zur „Felina“ find Sie hier.
In den 1920er-Jahren firmiert die „Cartonagenfabrik“ als „Hirschland und Schiettinger GmbH“. An der Firma sind Alfred Hirschland mit 30.000 und Robert Steger mit 5.000 RM beteiligt.
Am 23. August 1938 müssen beide auf Druck der Nationalsozialisten wegen ihrer jüdischen Religionszugehörigkeit die Fabrik an die Kartonagenfabrik Annweiler verkaufen. Hirschland verkauft zudem einen Anteil von 5.000 RM an Julius Buchmann aus Rinnthal/Saarpfalz. Gleichzeitig tritt Hirschland als Geschäftsführer zurück, neue Geschäftsführer wurden Julius Buchmann und Fritz Baumann (Quellen 3; Christiane Fritsche). Über das weitere Schicksal von Alfred Hirschland und Robert Steger ist bisher nichts bekannt.
Der neue Besitzer der Fabrik in der Industriestraße war von 1938 bis in die 1990er-Jahre die „Kartonagenfabrik Annweiler Fr. Baumann K.G.“. Der Karton selbst wurde von der heute noch existierenden Kartonfabrik Buchmann in Annweiler produziert.
In der Nachkriegzeit siedeln sich neben der Kartonagenfabrik Annweiler auf dem Gelände noch weitere kleine Firmen an. 1950 sind hier August Engel mit einer Fischräucherei gemeldet sowie Dr. Kurt Brenner mit einer Kittfabrikation und chemischen Erzeugnissen (Quelle 4).
Ab 1960 ist die Kartonagenfabrik Annweiler Fritz Baumann nur noch als Zweigniederlassung geführt. In den 1990er Jahren wird sie in Mannheim stillgelegt. Eine weitere Niederlassung hat die Kartonagenfabrik in Hauenstein. Dort produziert sie heute hochwertige bedruckte Verpackungen aus Vollpappe. Sie wurde von „Schumacher-packaging“ (die Namensgleichheit ist rein zufällig!) übernommen (Quelle 5).
80 Jahre Maschinenfabrik Gustav Spangenberg auf Nr. 49
Gustav Spangenberg beginnt 1871 in H 1,7 in der Breiten Straße mit einer Ölfarbenmühle, er stellt Firniss und Farben für alle Gewerbe her. Auch Carl Benz lackiert seine Gefährte mit seinen Mischungen. Spangenberg entwickelt in dieser Zeit eine Ölfarbenmühle und bald wird die Maschinenfabrik für Farbmühlen sein eigentliches Geschäft. Den Farbenhandel überträgt er an seinen Sohn August Spangenberg.
1904 zieht er an den Industriehafen und errichtet dort die Maschinenfabrik, die sich bis zum Ersten Weltkrieg - gut entwickelt. Seine Spezialmaschinen liefert er bis nach Russland. Gustaf Spangenberg stirbt 1913, sein Schwiegersohn Jakob Schneider, der schon seit 1895 hier arbeitet, übernimmt den Betrieb. Doch die ausländischen Märkte brechen im Krieg weg.
1922 tritt der Neffe von Schneider, Ludwig Schöffel, in die Firma ein und zeichnet für zahlreiche Neuentwicklungen im Bereich der Farbenfabrikationsmaschinen verantwortlich. Schöffel verfügt über zahlreiche in- und ausländische Patente. 1940 stirbt Schneider. In der Zeit des Zweiten Weltkriegs darf die Fabrik keine Farbmaschinen mehr herstellen, die Werkzeugmaschinen werden in andere Unternehmen für die Rüstungsproduktion umgesetzt.
Nach dem -Zweiten Weltkrieg beginnt der große Aufstieg des Unternehmens mit Export nach Europa, Ostblockstaaten und Südamerika. Auf dem Programm stehen jetzt vollautomatische elektro-hydraulische Farbenfabrikationsmaschinen. Mit zahlreichen Patenten zur Herstellung von Farben, Lacken und Druckfarben. Kunden waren nicht nur die Lack- und Farbenindustrie, sondern auch die pharmazeutische, kosmetische, Seifen-, Öl-, Leder-, Gummi-, Textil- und Nahrungsmittelindustrie.
1982 stellte die Gustav Spangenberg GmbH Antrag auf Eröffnung eines Konkursverfahrens. Die Fabrik wird noch einige Jahre weiter genutzt von der Firma Werner Maschinen- und Anlagenbau und danach von Netzsch, Fein-Mahltechnik GmbH, Mühlen und Mühlenerzeugnisse.
Neue Nutzung als Modeatelier
Dorothee Schumacher hat 1989 eines der erfolgreichsten deutschen Mode-Label gegründet. Sie ließ im Jahr 2000 die ehemaligen Fabrikgebäude durch den Pariser Architekten Yves Bayard (1935–2008) in ein modernes, lichtdurchflutetes Industrieloft, großzügige Ateliers und Showrooms umbauen. Produktentwicklung, Einkauf, Vertrieb, Kommunikation, Marketing und Logistik alles befindet sich hier im Head Office. Den „Tower“ benutzt das Unternehmen heute als Archiv.
Ein Team von 140 MitarbeiterInnen aus 16 Nationen lebt Tag für Tag den DOROTHEE SCHUMACHER Spirit. „Viele der Angestellten sind Mütter. Wahrscheinlich hat man eher den Mut, Beruf und Kinder zu vereinbaren, wenn die Chefin diese Situation kennt und versteht.“ (Quelle 6). Mehr zu Schumacher in Mannheim siehe Downloadbereich.
- Dr. Sigmund Schott. Der Industriehafen zu Mannheim 1907
- Mannheim in Vergangenheit und Gegenwart, Jubiläumsausgabe der Stadt 1907, Band 3 (1871–1907)
- Im Generallandesarchiv Karlsruhe gibt es zur Oberrheinischen Cartonagefabrik folgende Akten: Abt. 237 Zugang 1967-19, Nr. 717a., Abt. 237 Zugang 1967-19, Nr. 1357 und 276-1 Nr. 21518.
- Christiane Fritsche, Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt, Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim, Mannheim 2913
- Adressbücher der Stadt Mannheim
- Geschichte der Kartonfabrik Schumacher auf deren Webseite www.schumacher-packaging.com
- Artikel über Dorothee Schumacher in der Zeit: www.zeit.de