Walzmühle Ludwigshafen
Die Ludwigshafener Walzmühle war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine der größten und erfolgreichsten Getreidemühlen in Deutschland. Mit ihrer grandiosen Fassade aus dem Jahr 1906 blickt sie geradewegs über den Rhein – auf die Schlossrückseite. Einhundert Jahre nach ihrer Inbetriebnahme am Ludwigshafener Standort wird sie 1985 stillgelegt und später zum größten Teil abgerissen. Das Direktionsgebäude wird behalten und heute als Ernst-Bloch-Zentrum genutzt.
Die Ludwigshafener Walzmühle, direkt am Rhein dicht neben der Eisenbahnbrücke zwischen Ludwigshafen und Mannheim gelegen, ist ein beeindruckender Gebäudekomplex, auch wenn er seit dem Jahr 1998 praktisch nur noch Fassade ist. Dass es sich bei dem Bau um einen Eisenbetonkonstruktion mit Säulenhallen handelt, zeigt ein Blick durch die Fenster im Erdgeschoss nahe der Brücke.
Die beiden großen sechs Stockwerke hohen Flügel mit dem Turm in der Mitte strahlen backsteinrot in der Morgensonne. Im Kontrast dazu stehen die grün glasierten Kacheln an den vorgesetzten Säulen, die sich über die gesamte Höhe des Baus erstrecken. Die rechte Seite – das ehemalige Mühlengebäude – hat 16 Fensterachsen, die linke – das Mehlmagazin – nur zehn. Sie stehen in einem flachen Winkel zueinander. Beide Fassaden sind völlig symmetrisch aufgebaut und schließen jeweils mit geschwungenen Blendgiebeln ab, rechts mit dem Schriftzug „Ludwigshafener Walzmühle“ unter einer theatralischen Girlande, links mit dem Stadtwappen von Ludwigshafen.
Der neunstöckige Turm in der Mitte, der früher als Wasserturm diente, ist hell verputzt und trägt ein pyramidenförmiges Dach aus Glas.
Weiter rheinaufwärts (nach Süden) steht das ehemalige Direktionsgebäude, ein schmucker zwei Stockwerke hoher Backsteinbau mit üppig dekorierten Fenstern. Dort ist das Kultur- und Wissenschaftsinstituts „Ernst-Bloch-Zentrum“ untergebracht. Es ist auch von Innen sehenswert, einige originale Einrichtungsgegenstände und Wandverkleidungen sind erhalten.
Alle anderen Teile des ehemals ausgedehnten Mühlenkomplexes, auch das Direktorenwohnhaus, sind abgerissen und durch Funktionsneubauten (Läden, Kinos, Parkhaus) ersetzt.
Die Denkmaltopgraphie weist darauf hin, dass die Walzmühle genau auf das Mannheimer Schloss (wenn auch auf dessen Rückseite) schaut: „in der Gegenüberstellung zum Mannheimer Schloss ist die Mühle eine Identifikationsobjekt der jungen Industriestadt Ludwigshafen gegenüber der alten Residenzstadt Mannheim.“ (S. 80). Allerdings war von der Pracht der „alten Residenz“ in Mannheim nicht mehr viel übrig; Mannheim war ebenfalls eine Handels- und Industriestadt.
Mälzerei und Getreidemühle bis 1985
Das ehemalige Direktionsgebäude dient der Stadt Ludwigshafen als Ernst-Bloch-Zentrum. Weitere erhaltene Gebäudeteile als Büroräume, insbesondere Verwaltung der Lukom (Ludwigshafener Kongress- und Marketing-Gesellschaft mbH) sowie ein Fitnessstudio.
Nach Abriss der restlichen Mühlengebäude ist auf dem Gelände ein Einkaufszentrum mit Kinos entstanden
Die Ludwigshafener Walzmühle nahm ihren Anfang in Frankenthal: Dort gründeten im Jahre 1872 die Herren Sigmund und Simon Kaufmann, ein Herm. (Hermann?) Strauß und Adolf Kahn eine Mälzerei – also eine Firma zur Verarbeitung von Getreide, zum Beispiel, um aus Getreide Braumalz herzustellen.
Das Unternehmen ist wirtschaftlich erfolgreich, befindet sich aber in Frankenthal an einem schlechten Standort: Die Müllereiprodukte müssen vom Produktionsstandort über einen schmalen Kanal an den Rhein gebracht und dort umgeladen werden – ein zeitaufwendiger Prozess, der zusätzliche Kosten verursacht. „Kaufmann, Straus und Co.“ suchen deshalb nach einem neuen Standort mit besserer Verkehrsanbindung und werden in Ludwigshafen fündig. Im Jahr 1885 – das Unternehmen hat zu diesem Zeitpunkt 50 Mitarbeiter – kaufen sie der Maschinenfabrik Sulzer ein großes Gelände ab, dessen Ostseite am Rheinufer liegt. Noch im selben Jahr beginnen die Unternehmer mit dem Bau einer Industriemühle, Ein Jahr später, 1886, wird das neue Werk in Betrieb genommen. Die Mühle ist mit den damals neusten und effektivsten Walzenstühlen als Mahlwerke ausgestattet. Sie wird deshalb „Ludwigshafener Walzmühle“ benannt.
Erfolgreicher Start und Neustart nach Brand
Die jüdischen Gründer und Inhaber, allen voran Sigmund und Simon Kaufmann, machen das Unternehmen zu einem der größten Unternehmen der Mühlenindustrie in Deutschland. Im Jahr 1895 wird die Walzmühle in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und bis 1900 ständig erweitert. Aus 50 Mitarbeitern 1885 sind fünf Jahre später 200 Mitarbeiter geworden, die Walzmühle produziert zu diesem Zeitpunkt 3000 Zentner Mehl pro Woche.
Am 13. November 1905 zerstört ein Großfeuer das Betriebsgelände vollständig. Der Wiederaufbau dauert fast ein Jahr, bis zum Oktober 1906. Mit der Planung wurde wiederum Adolf Lipps beauftragt.
Lagerhaus- und Binnenschifffahrtsgesellschaft Rhenania steigt ein
Die Geschichte der Ludwigshafener Walzmühle ist nicht denkbar ohne die Investitionen der Brüder Jacob und Hermann Hecht, die am 5. März 1908 in Mannheim die deutsche Rhenania-Speditions-Gesellschaft mbH gegründet hatten. Sie investieren auch auf der Ludwigshafener Rheinseite, Hermann Hecht, der die Niederlassung der Spedition in Duisburg leitet, beteiligt sich 1913 an der Walzmühle.
Der Erste Weltkrieg bricht aus, die Walzmühle gerät in wirtschaftliche Schwierigkeiten: Steigende Kosten für Löhne, höhere Frachtraten und knappe Devisenverhältnisse schlagen sich negativ in den Bilanzen des Ludwigshafener Unternehmens nieder. Die von der Entente verfügte Abgabe von Binnenschifffahrtsraum bringt eine starke Einschränkung der Transportmöglichkeiten mit sich – übrigens nicht nur für die Walzmühle, sondern für alle am Rhein liegenden Mühlen. Zudem fallen kriegsbedingt auch die bis 1918 bedeutenden Absatzgebiete des Saarlandes und Elsaß-Lothringen weg.
Schwierige Verhältnisse nach dem ersten Weltkrieg
Nach dem Ersten Weltkrieg wird die Mühle als Aktiengesellschaft weitergeführt, die Zeiten bleiben jedoch schwierig. Infolge des Börsenkrachs 1929 sahen sich die Geschäftsführer der Walzmühle 1930 gezwungen, einen Antrag auf Stilllegung einzureichen. Nur die Zustimmung der Gesellschafter, durch eine kräftige Kapitalherabsetzung die Sanierung einzuleiten, rettete die Mühle vor dem Ende.
Zu diesem Zeitpunkt verdient die Rhenania schon lange an dem Mühlenunternehmen mit, übernehmen ihre Schiffe doch viele Getreidetransporte. Deshalb veranlasst Hermann Hecht 1930 eine weitere Investition. Diese Beteiligung schlägt sich auch personell nieder, der Geschäftsbericht verzeichnet im Jahr 1932 Hermann Hecht als neues Mitglied im Aufsichtsrat.
Die Walzmühle und ihre jüdischen Besitzer in der NS-Zeit
Hermann und Jacob Hecht sind jedoch jüdischer Abstammung: 1934 müssen sie für die Rhenania einen Gleichschaltungsvertrag mit dem Land Bayern (die Pfalz gehörte damals zu Bayern) abschließen. Ihr Anteil an der Rhenania wird von 74,77 % auf 49,02 % reduziert. Nur wenig später wird die vollständige Zwangsarisierung eingeleitet. Drei Jahre später, 1937, müssen die Brüder Hecht auch ihre Aktienanteile an der Walzmühle abgeben, und zwar an den Konzern Haniel und an den bayerischen Staat.
Hermann Hecht emigriert 1939 in die USA. Er wird Deutschland nicht wieder betreten. Sein Bruder Jacob Hecht, der bereits 1920 eine weitere Spedition in Basel, Neptun, gegründet hat, überlebt den Nationalsozialismus in der Schweiz. Gemeinsam mit seinem Sohn Ruben kämpft er nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgreich um die Rückgabe seines Firmeneigentums.
In der Walzmühle selbst geht die Produktion auch während des Zweiten Weltkriegs weiter; allerdings wird in dieser Zeit inländischer Weizen, der mit Fuhrwerken aus den umliegenden Orten der Pfalz angeliefert wurde, verarbeitet, da die Importe aus Übersee kriegsbedingt sehr stark zurückgegangen waren. Zudem schädigen Luftangriffe die Mühle.
Das Schicksal der Gründerfamilien
Über die ursprünglichen Gründer, die jüdischer Abstammung waren, liegen nicht viele Informationen vor, weil 1943 das Frankenthaler Rathaus und mit ihm zahlreiche Akten, darunter auch die alle Gewerbeakten, zerstört wurden. Es gibt auf der Webseite „Juden in Frankenthal“ jedoch eine Information über einen Sohn von Sigmund Kaufmann: Heinrich Kaufmann, geb. am 22. 09. 1881 in Frankenthal, als Sohn von Sigmund Kaufmann, Kaufmann und Direktor der Walzmühle Ludwigshafen, und Bertha Strauß, ist bekannt, dass er in Mannheim, Seckenheimer Straße 16, lebte und von dort deportiert wurde. Er starb am 21. 01.1941. Auf dem Grabstein in Gurs (Nr. 609) ist das Geburtsjahr falsch mit 1864 angegeben. Rückschlüsse aus dem Geburtsjahr des Sohnes auf das Alter seiner Eltern lassen vermuten, dass die jüdischen Gründer den Nationalsozialismus vermutlich nicht mehr erleben mussten.
Eine kurze Nachkriegsgeschichte
Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die Walzmühle dann unter französischer Kuratel, erst im Jahr 1948 legt das Unternehmen eine Eröffnungsbilanz vor: Die Kapitalgesellschaft lief normal an.
Im Jahr 1961 jedoch wurde die Walzmühle in Teilen stillgelegt, nur die Grießherstellung (Hartweizengrießmühle) blieb erhalten. In dieser Zeit wurden überall in der BRD wegen Überkapazitäten im Rahmen gesetzgeberischer Strukturmaßnahmen "geordnet abgebaut“ d.h. stillgelegt (siehe Kauffmannmühle in Mannheim).
Fünf Jahre später, 1966, veröffentlicht die Walzmühle AG ihren letzten Geschäftsbericht. Das Unternehmen wird 1970 in eine GmbH umgewandelt, die vollständige Stilllegung des Werks erfolgt 1985. Die technische Einrichtungen wurden demontiert. Das Areal wird von Plange Futtermittel vorwiegend als Lager übernommen. „rruff putt bless“ mit Grafiken von Schwein, Huhn und Rind waren der optische Hinweis auf die neue Nutzung. Auch finden – so heißt es: „legendäre“ – Techno-Partys und Musikevents (Time Warp) in den verlassenen Hallen statt. Auch ein „Tatort“-Krimi wird mal dort gedreht.
Doch in den 1990er Jahren werden die meisten Gebäude auf dem Areal abgerissen, er bleibt nur das Mehlmagazin und das benachbarte Prunkfassadengebäude sowie die Direktion übrig. Ein Einkaufs- und Kinocenter wird statt dessen errichtet. Die schmucke Direktorenvilla muss einem hohen Parkhaus weichen. Nach wenigen Jahren stellt sich die hohe Investition als Flop heraus. Das Gelände gehört der Metro-Gruppe. Die Gebäude der Schmuckfassade sind weitgehend als Büros vermietet
In der ehemaligen Direktion ist das Ernst-Bloch-Zentrum zu finden, „ein Kultur- und Wissenschaftsinstitut, das sich mit Utopien, Zukunftsthemen und kritischen Fragen der Zeit beschäftigt“.
- Denkmaltopographie Band 8: Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz, Stadt Ludwigshafen am Rhein
- Broschüre: „Die Ludwigshafener Walzmühle“, Ludwigshafen 2017