Felina, Miederwarenfabrik in Mannheim
Glatte 50er-Jahre-Fassaden mit großen Fenstern und einem Wechsel aus Backstein und Beton kennzeichnen das viergeschossige Bauwerk, das an der Lange Rötter Straße mit dem Logo „Felina“ wirbt. Es zieht sich die Melchiorstraße entlang und mit einem eleganten halbrunden Schwung auch in die Holzbauerstraße. Auf diesem Gelände wurden etwa 100 Jahre lange BHs und Miederwaren produziert. Hier haben bis zu 2.000 Arbeiterinnen die Spitzen und Gummilitzen nicht nur zu zarten Dessous verarbeitet, sondern auch zu Badeanzügen und Figur korrigierenden Miedern.
Mitten in dem alten Wohngebiet der Neckarstadt-Ost gelegen, sieht der Komplex eher urban aus, doch geht man durch die Hofeinfahrt in der Melchiorstraße, erkennt man sehr wohl, dass es sich hier um eine große Fabrik handelt. Es sind Gebäude aus unterschiedlichen Bauepochen erkennbar, teilweise bis zu sieben Stockwerke hoch, eng gedrängt und mit Durchfahrten untereinander verbunden. Sichtbar sind alte Tor- und Fensterfriese, Teile der Backsteinverzierungen und der Sandsteinsockel der ursprünglichen Fabrik von 1898. Erkennbar sind auch die Erweiterungsbauten bis 1914 (Ecke Pozzistraße), aus den 20er und 30er Jahren (die senkrechten Fugen im Bachsteinmauerwerk sind rot ausgefugt), sowie die Bauten der 1950er Jahre.
Erweiterungen, Wiederaufbau nach Kriegsschäden und etliche Umbauten haben von der ursprünglichen Anlage den groben Grundriss erhalten. Die Gesamtfläche der Arbeitsräume hat in den 50er Jahren 20.000 qm umfasst. In der Werkskantine wurden damals täglich 2.000 Essen ausgegeben. Noch immer gibt eine Sirene das Signal für die Mittags- und Frühstückspause, doch nur noch wenige Nähmaschinen rattern in dem Felina-Gebäudekomplex. Das heutige Unternehmen „Felina International“ ist ein „global agierendes Dessous-Unternehmen“, das in Mannheim nur noch das Designzentrum (mit Musterschneiderei), Marketing und Vertrieb hält. Gefertigt wird in eigenen Produktionsstandorten in Ungarn und Polen.
Die Fabrik in Mannheim ist weitgehend umgenutzt und vermietet. Die Hofeinfahrt mit ihren vielen Briefkästen zeigt dies. Sie führt zum Felina-Werksverkauf und zur Redaktion der Zeitung 'Wochenblatt' sowie zu vielen anderen Anwohnern wie z.B. Biotopia. Der schwarz verglaste Felina-Eingang liegt an der abgerundeten Ecke in der Melchiorstraße. In der Holzbauer-Straße 6-8 geht ein Eingang in das Jugendamt sowie ins Felina-Theater und zur Theaterakademie Mannheim (ThaM). Die Werbeagentur „Signum-Communication“, die eine ganze Etage belegt, erreicht man über die Lange Rötterstraße 11. Die Design-Agentur „Pozzi7“ ist jetzt im Felina-Hof in der obersten Etage des Turmhauses untergebracht. Die ehemaligen Expedition der Felina mit Zugang durch die Pozzistraße 7 ist dagegen ein großzügiger „Raum auf Zeit“, den man bei „Teamparcours kommunikation-mannheim“ mieten kann.
Fabrik für Korsetts, Mieder, BHs und Badeanzüge
Designzentrum der Felina, Umnutzung durch Gewerbe, Behörden, Dienstleister und Kreative, Raum auf Zeit
1885 gründet Eugen J. Herbst in Bad Rappenau mit ca. 10 MitarbeiterInnen eine Korsettfabrik. Bereits 1890 verlegt er wegen der hohen Nachfrage sein Unternehmen nach Mannheim in die Innenstadt. Hier suchen auch mehr Frauen Arbeit. 1898 kauft er Gelände im Lange Rötter-Gebiet in der sich entwickelnden Neckarstadt, wo eine pleite gegangene Chemiefabrik stand. Er baut dort ein modernes Fabrikgebäude mit Sandsteinsockeln. Die Korsettfabrik entwickelt sich prächtig und wird zu einer der bedeutendsten der Branche. Der Bruder Hermann Herbst steigt in die Fabrik ein, die sich jetzt 'Mieder- und Korsettfabrik Eugen und Hermann Herbst' nennt.
Am 17. 4. 1915 meldet er die Marke „FELINA“ für einen Büstenhalter an, damals eine neue Entwicklung. 1923: In der Wirtschaftskrise eröffnet Herbst die Corona-Schuhfabrik, in der er unter der Marke „Everest“ Turnschuhe, Hallenschuhe, Kamelhaarschuhe produziert. 1924: Herbst baut in Mannheim-Feudenheim eine Fabrikniederlassung zur Felina-Büstenhalter-Produktion. Insgesamt sind in seinem Unternehmen zwischen 800 und 900 Personen – 90% davon Frauen – beschäftigt. Die Produkte sind: Büstenhalter, Korsetts, Strumpfhaltergürtel. Sportgürtel, Hüftgürtel, Leibchen, Corselets. Verkauft wird in alle Welt, vor allem die Büstenhalter. Herbst gründet Fabrikationsniederlassungen in Amsterdam, Mailand, Paris, Zürich und London. Hier werden auch Halbfertigprodukte weiterverarbeitet.
1933 sind im Stammhaus etwa 1.000 MitarbeiterInnen beschäftigt, in der Schuhfabrik noch einmal 300. Die Geschäftsführung liegt jetzt in den Händen der zweiten Generation, Fritz und Walter Herbst. Ein Erweiterungsbau für etwa 400 zusätzliche Arbeitskräfte ist im Gange. Die Machtergreifung der Nazis trifft das Unternehmen Herbst sofort, weil seine Besitzer „nichtarisch“ – jüdischen Glaubens – sind. Sie werden nicht mehr zu Muster-Messen zugelassen und es gelten für Juden Devisenbeschränkungen, was sich z.B. auch auf den Stoffeinkauf auswirkt. Im Oktober 1933 übergeben die Brüder Herbst dem „Treuhänder der Arbeit“ die Verantwortung für die Fortführung des Werkes. Der Seniorchef Eugen Herbst bleibt bis 1936 faktisch als Geschäftsführer des Betriebes tätig. Die Familie Herbst wandert 1936 nach Holland aus, von dort 1940 nach Canada. 1949 stirbt Eugen Herbst.
1936: Richard Greiling (geboren 1882), bekannter Zigarettenfabrikant aus Dresden, bulgarischer Generalkonsul, kauft die Fabrik und die Grundstücke zu einem enorm günstigen Preis. Er benennt sie in „Korsettfabrik FELINA Mannheim“ um. Richard Greiling erwirbt im Zuge der Arisierung noch eine Vielzahl von Fabriken in Süddeutschland. Er erweitert die Fabrik um einen neuen 4-stöckigen Anbau und vergrößert auch den Maschinenpark. Ein neues Maschinenhaus wird im 2. Hof errichtet. Die Gewinne verdoppeln sich.
1939 – 45: Die Kriegsproduktion mit ihren Einschränkungen durch die Bewirtschaftung der Stoffe, Garne und des Zubehörs und auch die Einschränkungen des Exports nach Übersee macht sich bemerkbar. Die Fabrik stellt jetzt auch Gasmasken und Fallschirme her. Die Frauen – unter ihnen auch Zwangsarbeiterinnen – nähen Kartuschenbeutel für Granaten.
1944: Im Juni wird ein Teil des Werkes schwer von Bomben getroffen, nachdem bereits 1943 viele Fensterscheiben zu Bruch gegangen waren. Die Produktion geht eingeschränkt weiter.
Bei Kriegsende gibt es noch 400 Beschäftigte. Obwohl Richard Greiling kein Parteimitglied war, wird 1946 wegen seiner Arisierungen ein Entnazifizierungsverfahren durchgeführt. Im Restitutionsverfahren zahlt R. Greiling 1949 der Familie Herbst eine Abfindung als Wiedergutmachung.
1950 errichtet Greiling einen neuen Bau in der Lange Rötterstraße, 1951 den großen abgerundeten Bau in der Melchiorstraße. Es kommen neue Materialien wie Nylon und Perlon auf den Markt der Miederwäsche. 1954: Richard Greiling stirbt als hoch angesehener Industrieller. Seine Söhne Manfred und Lothar übernehmen das Unternehmen, dem inzwischen auch einige Tochterbetriebe angehören.
Werke in Worms und Ketsch werden gegründet, 1955 eines in Kaiserslautern. Die Felina hat jetzt ca. 2500 MitarbeiterInnen. Die Löhne sind niedrig – wie typische Frauenlöhne, aber es gibt einige Sozialleistungen: betriebliche Altersversorgung, eine Kantine und einen Betriebsarzt. 1958: Felina ist auf der Brüsseler Weltausstellung vertreten mit damals absolut trendigen farbigen Miederwaren in türkis, „flamingo“ und citrus.
In den 1960er Jahren setzt Felina auf die Einführung eines BHs mit elastischen Trägern. Hochelastische Raschelgummis vermehren den Tragekomfort. In Kooperation mit dem Bayer-Konzern wird die Elastomerfaser Dorlastan eingeführt. 1968 wird Uschi Glas (bekannt durch den Film „Zur Sache Schätzchen“) zur Werbe-Ikone für den neuen Felina-BH „Uschis Schätzchen".
In den 1970ern kommt „oben-ohne“ in Mode und beschert der Miederbranche einen 10%gen Umsatzrückgang.
1978: Felina braucht Kredite – Verhandlungen mit Banken und der Stadt Mannheim finden statt.
1981: Die Sanierungsbemühungen scheitern. Die Familie Greiling verkauft ihre Anteile.
Eine Schweizer Investorengruppe übernimmt FELINA und gründet in Wettingen bei Zürich die FELINA INTERNATIONAL AG. Die FELINA GmbH in Mannheim ist 100prozentige Tochter und operative Zentrale. Schrittweise wird die Produktion in eigene Werke ins Ausland (Ungarn, Polen) verlagert. 1988 kommt es wegen Lohn- und Arbeitszeitforderungen zu mehreren kleinen Streiks bei der Felina. Die Umsätze werden weiter magerer, denn seit den 1990er Jahren werden Dessous als Billigware in Discountern verkauft; alle Markenhersteller haben Probleme. Das Felina-Werk in Kaiserlautern schließt. In Mannheim arbeiten noch rund 250 der weltweit etwa 1.000 MitarbeiterInnen.
2004 wird die Fertigung in Mannheim ganz auflöst. 2008 schreibt die Felina wieder Verluste. 2010: Das 125. Jubiläumsjahr ist wirtschaftlich schwierig. Zwei Drittel des Umsatzes werden im Ausland erzielt. FELINA-International hat weltweit ca. 6.500 Händler sowie 1.000 MitarbeiterInnen - 170 davon in Mannheim.
- Mannheim, das Kultur- und Wirtschaftszentrum Südwestdeutschlands, 1928, herausgegeben von der Mannheimer Stadtreklarme GMBH
- Internetauftritt der FELINA
- Interviews
- Archivmaterial aus dem Stadtarchiv Mannheim