Alte Brauerei Mannheim

Sechs aufwändig restaurierte historische Gebäude reihen sich an der Röntgen- und Käfertaler Straße: Lisenen, Gesimse, Rundbogenfenster mit Metallsprossenfenstern gliedern das eindrucksvolle Ensemble. Die kräftigen Farben der gelben und roten Backsteine auf Buntsandsteinsockeln strahlen schon von weitem. Bemerkenswert sind die unterschiedlichen Dachformationen. Das Außengelände ist öffentlich zugänglich. Die Höfe sind ebenfalls neu gestaltet: Historisches Großpflaster war unter Asphaltschichten verborgen. Mit Hecken, Bäumen und Sitzbänken gewinnt der ehemalige Industrie-Hof eine neue Aufenthaltsqualität. Mauersegler beleben von Mai bis Anfang August den Luftraum und einige der Nisträume im hofseitigen Dachtrauf.

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Manche nennen es „Brauerei-Schloss”, andere „Bierfabrik“. Tatsächlich produzierte hier die Badische Brauerei AG von 1883 bis 1917 ihr Bier. Auf ca. 7.700 m² standen alle erforderlichen Funktionsgebäude, einschließlich der Direktorenvilla. Damals lag das Gelände noch „vor den Toren der Stadt”. Seinerzeit wurden industrielle Neubauten oft optisch auffällig an damals wichtigen Verkehrswegen errichtet. Der Repräsentationswert eines solchen mindestens vierstöckigen Gebäudes steht auch für den herrschaftlichen Anspruch des Inhabers in seinem Unternehmen und für seine wirtschaftliche Bedeutung. Bier hatte damals als wichtiges Produkt für das tägliche Leben einen hohen Stellenwert.

Was aus anderen Brauerei-Schlössern in der Region wurde, sehen Sie hier:

Nutzung (ursprünglich)

Die Gesamtanlage diente der Badischen Brauerei AG für Produktion, Lager, Verwaltung, Direktorenwohnsitz und Mitarbeiterwohnungen.

Nutzung (derzeit)

Medizin-Campus, Gewerbe- und Wohnraum, Umwelt-Zentrum

Geschichte

Gründung der Bierfabrik
Die Gebäude in der Käfertaler Straße 162 entstehen ab ca. 1880, der Schlussstein wird 1883 gesetzt. Als Aktiengesellschaft gründet Christoph Hofmann die Badische Brauerei Ende 1886 zusammen mit Finanziers. Sie ist damit eine der vier Industriebrauereien außerhalb der Mannheimer Innenstadt. Entwürfe und Bauausführung übernimmt zum großen Teil die Mannheimer Baufirma F.&A. Ludwig. Zum Gesamtkomplex gehörten u.a. Direktorenvilla, Kontor, altes und neues Sudhaus, Kohlekraftwerk, Maschinenhaus, Brunnen, Mälzerei, Stallungen und Remisen.

Einstellung des Braubetriebs 1917
Während des 1. Weltkriegs wurde 1917 der Betrieb eingestellt. Im Unterschied zu Brauereikellern in der Nachbarschaft wurden die 2.700 m² der Badischen Brauerei seit ihrer Errichtung in Ihrer Grundstruktur kaum verändert.

Zigarren- und Zigarettenfabrikation 1920-1941
Der aus Marburg stammende Tabakfabrikant Wilhelm Niderehe erwarb die Anlage 1920 und nutzte nach Umbauten Teile für seine Zigarren- und Zigarettenfabrikation. Dafür hatte er die Cigarettenfabrik Ophyr GmbH übernommen. Produkte mit dem Rauten-Logo von Ophyr wurden in Deutschland und vermutlich auch in der Schweiz verkauft. Die Markenbildung und -pflege kann durch Logo-Kontinuität, Werbung und Verpackungen belegt werden.

Gewerbehof
Ab 1924 vermietete Wilhelm Niderehe Teile der Gebäude vorwiegend an Betriebe der Kfz-Branche und des Maschinenbaus: Auto-Ernst, Johann Waldherr oHG und Gerberich & Cie. Als Gewerbehof entsprach die gemischte Nutzung in kleinem Maßstab den in den 60er Jahren entwickelten Gewerbegebieten.

Krieg und Notdächer
Bei Luftangriffen wurden fast alle Gebäude entlang der Röntgenstraße schwer beschädigt. „Notdächer” ermöglichten die weitere Nutzung: Metallverarbeitung, Druckerei und Elektrotechnik. Ab 1969 Schule für Physiotherapie, der 1.Mannheimer Judo-Club, auch Handel mit Teppichböden, Autoteilen, Spielautomaten. Das Umwelt-Zentrum Mannheim von BUND, Greenpeace und Deutscher Bund für Vogelschutz (heute Naturschutzbund) wird 1983 eröffnet.

Denkmalschutz bremst Abrisspläne aus
Der Gemeinderat der Stadt Mannheim beschließt 1983 einen Bebauungsplan, der zugunsten einer Straßenverbeiterung den Abriss aller Brauereigebäude bis auf das denkmalgeschützte Eckhaus vorsieht. 1997 wird der Denkmalschutz auf das frühere Mälzereigebäude und die gesamte Fassade an der Röntgenstraße als technisches Kulturdenkmal ausgeweitet. Ein derartiges Gebäudeensemble ist in seiner Ausprägung und an so markanter Stelle im Stadtbild selten geworden und erhaltenswert.

Sanierung und Neunutzung
Angeregt durch neue Mietinteressenten, die Wirtschaftsförderung und den Denkmalschutz der Stadt Mannheim reiften ab 2002 Ideen zu einer grundlegenden Sanierung zunächst des Mälzereigebäudes. Jürgen Herrmann, der Enkel von Wilhelm Niderehe, verantwortete als Eigentümer ab 2004 die denkmalgerechte Sanierung und Umnutzung zu Büro- und Unterrichtsräumen. Die ehemalige Mälzerei erstrahlt seit 2005 in alter Pracht.

2020 bis 2023: „Jahrhundert-Baustelle“ nach 140 Jahren
Die Backsteinfassaden waren vor Jahrzehnten gestrichen worden. Mit aller Vorsicht muss diese Farbschicht entfernt werden. Defekte Steine werden ausgetauscht und die Fugen mit historischem Mörtel verschlossen. Dies bedarf Hunderte Stunden von akribischer, fachgerechter Handarbeit.

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Einige historische Dachelemente waren nach Kriegsschäden nicht mehr aufgebaut worden. Sie konnten aus alten Bauakten rekonstruiert werden. Spezielle Dachformen, Gauben und markanten Fassadenteile n sind für das Ensemble bedeutend. Man entschließt sich, die fehlenden Elemente in Beton zu gießen.

Während man von außen die Fassade wieder hergerichtet, wird das Inneren des Gebäudes völlig umgekrempelt. Ziel ist die Schaffung von 33 Wohneinheiten und 7 Gewerbeobjekten . Das bedeutet neue Treppenhäuser, neue Fenster, Elektrik, Medien, Heizung, die gesamte Infrastruktur für zeitgemäßes Wohnen und Arbeiten.

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Bei „Ausgrabungen“ des ehemaligen repräsentativen Eingangs taucht im Entrée ein Terrazzo-Boden mit Mosaik auf. Dieser Raum war mit Schutt von früheren Umbauten und Kriegszerstörungen vollständig verfüllt. Im Schutt gefunden wurden noch ein paar Bierflaschen und Scherben zerbrochener Krüge und Tassen.

Die Kellergewölbe unter dem gesamten Areal sind eine eigene Welt. Ursprünglich lagerte die Brauerei in diesen enormen Kellergewölben ihr Bier ein, und Eis zur Kühlung. Im zweiten Weltkrieg dienten sie teilweise als Bunker. Majestätisch und fast sakral wirken die 16 gusseisernen Säulen im zentralen Keller.

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Die „Alte Brauerei“ ist mit mehreren wichtigen Preisen ausgezeichnet.
Für die Gründungsphase unseres Vereins Rhein-Neckar-Industriekultur in den Jahren 2006 spielte sie eine wichtige Rolle. Nicht zuletzt ist sie unsere erste Objektbeschreibung auf unserer Website.

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Denkmalschutz als kulturelle Verpflichtung:

Dr. Monika Ryll / Untere Denkmalschutzbehörde Mannheim:
"Die ehem. Mälzerei ist ein in mehrere Höhen gestaffeltes bis zu fünfgeschossiger neoromanischer Backsteinbau. Er wird durch Lisenen, Gesimse und Rundbögen gegliedert. Die starke Durchfensterung aller Geschosse lässt die Öffnungen zu einem wesentlichen Gestaltungsmerkmal werden, so dass die neuen Metallsprossenfenster mit größter Sorgfalt ausgewählt wurden. Der gelbe und rote Backstein sowie der Buntsandsteinsockel erhielten mit der aufwändigen Fassadenreinigung ihre materialansichtige Farbigkeit zurück. Im Innern sind besonders die schönen Gewölbekeller und Hallen mit gusseisernen Säulen, die den großzügigen Räumen einen sakralen Charakter verleihen, erwähnenswert. Das Mälzereigebäude und die ehemalige Direktorenvilla haben als Sachgesamtheit Dokumentationswert aus heimatgeschichtlichen und künstlerischen Gründen und stellen somit Kulturdenkmale im Sinne des § 2 Denkmalschutzgesetz Baden-Württemberg dar. Aufgabe und Ziel der Denkmalpflege ist es, die historische Substanz als materielles unwiederbringliches Dokument der Vergangenheit zu wahren, zu pflegen und zu schützen. Dies erscheint als kulturelle Verpflichtung gerade nach den verheerenden Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und in der Wiederaufbauphase zwingend notwendig. In Mannheim stehen derzeit (2005) 1700 Gebäude unter Schutz; das sind 2 % der gesamten Bausubstanz."

Quellen:
  • Broschüre Geschichte, Nutzungen und Sanierung 2004/2005 - Zur Einweihung des sanierten Mälzereigebäudes am 24. September 2005
  • Ergänzungen und Berichtigungen 2007 zur o. g. Broschüre 2005 jeweils mit Chronik, zahlreichen Abbildungen und Quellenliste über Kontakt erhältlich
  • Eine aktuelle Quellenliste steht hier am Ende der Geschichte.
Eigentümer
Jürgen Herrmann
Erbauer
Baufirma F. & A. Ludwig
Architekt
vermutlich Baufirma F. & A. Ludwig, Umbau 2004-2006: Andreas Schmucker, Sanierung 2020-2023: Schmucker und Partner
Bauzeit / Umbauten
um 1845: erste Bierkeller, 1883-1888 Brauerei und Mälzerei, 1920 Umbauten, 1945-1955 Reparatur von Kriegsschäden, 2002 Abriss ehem. Ställe, 2004-2006 Umbau/Sanierung des Mälzereigebäudes, 2020-2023 Sanierung aller anderen denkmalgeschützten Gebäude
Baubestand

Vom ursprünglichen Bestand wurden Kontor, Kesselhaus, Stallungen und Remisen abgerissen oder umgebaut. Der große Brunnen mit ca. 4 m Durchmesser und 12 m Tiefe bis zum Wasserspiegel wurde mit Kies und Sand verfüllt und verschlossen.

Autor*in
Jürgen Herrmann (2007), Barbara und Heiner Ritter (2023)
Letzte Änderung
Objektnummer
1
Adresse
Röntgenstraße 7
68167 Mannheim
Geo
49.494674585904, 8.489003777504
Kontakt

Jürgen Herrmann
Telefon: 0170 479 1233
E-Mail: info@Brauerei162.de

Zufahrt

KFZ.: Röntgenstraße 7, Hofeinfahrt
vgl. Wege zur Alten Brauerei
Nächste VRN-Haltestelle: Mannheim, Bibienastraße, Straßenbahnlinien 2 und 7
VRN-Fahrplanauskunft

Öffnungszeiten
  • Keine regelmäßigen Öffnungszeiten der vermieteten Gebäude
  • Freigelände/Hof immer zugänglich
  • Führungen nach Vereinbarung
Denkmalschutz
Ja
Barrierefrei
Teilweise
Barrierefrei ist das sanierte Mälzereigebäude mit Ausnahme des 4. OG.
Behindertentoilette im EG für Nutzer des Hauses und Besucher nach Vereinbarung