Im Fokus der Moderne

Mannheimer Morgen
Titelfoto der Broschüre

Visionen und verpasste Chancen – Denkmalpflegern Monika Ryll schreibt ein Buch über das Bauhaus in Mannheim

Man könnte diese Geschichte auch anders herum erzählen. Der traurige Schluss käme dann gleich am Anfang und er würde so lauten: Fast wäre Mannheim europaweit bekannt geworden. Als Zentrum für Design und Architektur. Wenn man das Bauhaus nicht gleich zweimal abgelehnt hätte: 1925 und dann noch einmal 1951 (in Form einer Nachfolgeinstitution) hatte es Versuche gegeben, die einflussreichste Schule für Gestaltung des 20. Jahrhunderts nach Mannheim zu holen.

Doch Monika Ryll hat sich für eine Spurensuche in chronologischer Reihenfolge entschieden: In einem Buch, das der überaus engagierte Verein Rhein-Neckar-Industriekultur herausbringt, zeigt die Mannheimer Denkmalpflegerin prägnant auf, wie die Moderne doch noch ihren Weg in die Stadt fand. Welche Architekten und Stadtplaner sich für den schlichten, ästhetisch anspruchsvollen Stil begeisterten. Und was heute noch davon sichtbar ist – nach einem Weltkrieg und dem Abrisswahn der Nachkriegszeit.

1919 in Weimar gegründet

„Das Bauhaus erstrebt die Sammlung alles künstlerischen Schaffens zur Einheit“ hatte Walter Gropius 1919 geschrieben, als er die Freie Kunstschule mit der Kunstgewerbeschule in Weimar zusammenlegte und das Staatliche Bauhaus gründete. In Anlehnung an mittelalterliche Bauhütten sollten verschiedene Disziplinen der Gestaltung unterrichtet und Gegenstände oder Gebäude entwickelt werden, deren Form aus ihrer Funktion, Konstruktion oder Materialität heraus entstand.

All das registrierte man in Mannheim durchaus. Wie avantgardistisch allein die Kunsthalle zu der Zeit war, belegt ihr Programm: 1912 und 1914 zeigte ihr Direktor Fritz Wichert Ausstellungen wie „Moderne Architektur“ und „Das neue Bauen“. 1925 folgten „Typen neuer Baukunst“ von Gustav Friedrich Hartlaub, der auch Gropius zu einem Vortrag einlud und im selben Jahr mit dem Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy über einen Umzug nach Mannheim verhandelte. 1930 wurde eine Bauhaus-Ausstellung gezeigt – doch der politische Wille, die Institution wirklich zu unterstützen, fehlte in der Stadt, wie Ryll richtig schreibt.

Bedeutende Industriegebäude wie die Genossenschaftliche Burg auf der Friesenheimer Insel, deren Formensprache sich auch an den Grundideen des Bauhauses orientiert, bleiben leider unerwähnt. Dafür holt Ryll heute fast vergessene Protagonisten hervor, deren Ideen oder Bauten nach wie vor das Stadtbild prägen: Sie erinnert an den Theoretiker Werner Hegemann, der aus Mannheim stammte. Oder an den Leiter des Hochbauamtes Josef Zizler, unter dessen Leitung knapp 40 Gebäude im Zeitgeist der Moderne entstanden – Wohnungen, Schulen, Geschäfte. Eines davon ist das Fröbel-Seminar auf dem Lindenhof, eine beispielhafte Einheit von Form und Funktion – die stark an das Haus Am Horn erinnert, das Georg Muche 1923 in Weimar entwarf.

Klare Linien und viel Licht, Flachdächer, Dachterrassen – diese und weitere Merkmale zeigt Ryll an verschiedenen Gebäuden auf, begleitet von historischen und aktuellen Fotos, Zeichnungen und Plänen: Sie verweist auf das AOK-Gebäude oder auf die Mütterberatungsstelle auf dem Waldhof, die in Kubatur und Grundform dem Kornhaus in Dessau verblüffend gleicht. Sie erinnert an Bauhäusler, die ihre Spuren in Mannheim hinterließen: An Gerhard Marcks’ „Friedensengel“ in E 6 oder an den Produktdesigner Herbert Hirche, der Mies van der Rohe Anfang der 50er für ein neues Nationaltheater ins Spiel brachte (das Modell dazu wird gerade in der Kunsthalle ausgestellt) – den Mannheimern jedoch war sein Entwurf zu „modern“. Dafür kam schließlich Gerhard Weber zum Zug – auch er hatte am Bauhaus studiert.

Das stellenweise etwas nüchtern geschriebene Buch gibt auch einen Eindruck von Kriegszerstörungen und dem gefühllosen Umgang mit alter Bausubstanz: Alte Fotos erinnern an die Rhein-Neckar-Hallen in der Oststadt, die zerbombt wurden, sie zeigen den Urzustand der heute verbauten Straßenbahnwartehalle am Tattersall oder des Evangelischen Gemeindehauses in Neckarau. Viele Spuren führen zu jüdischen Familien, die sich für die historisch unbelastete Bauweise des Bauhauses begeisterten und progressive Architekten engagierten: der Ludwigshafener Kaufmann Wilhelm Rothschild etwa, dem Ernst Plattner in der Oststadt eine Villa baute. Oder das Pauline-Maier-Haus in der heutigen Bassermannstraße, das der Frankfurter Fritz Nathan 1930 als jüdisches Altersheim errichtete – es wurde erst 2010 abgerissen.

Von unseren Redaktionsmitglied Annika Wind © Mannheimer Morgen, Mittwoch, 24.07.2013


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