Schreiber nimmt dir alle Sorgen
Die Erfolgsgeschichte eines Lebensmittelhändlers in Neckarau. Von Veith Lennartz
Wir schreiben das Jahr 1850. Es ist die Zeit des demokratischen Aufbruchs. Gleiches Wahlrecht für alle wird gefordert, Handelsschranken sollen fallen, und die Kleinstaaterei soll ein Ende finden. In wenigen Jahren wird die Mannheimer Akte für freie Schifffahrt auf dem Rhein von Basel bis ans Meer sorgen. In der Quadratestadt beginnt ein wirtschaftlicher Aufschwung, noch leben in Mannheim nur 25.000 Menschen.
Die Gelegenheit scheint günstig für Johann Schreiber. In T 1,6, am damaligen Neckartor, gründet er ein Handelsgeschäft mit Kolonialwaren, und im Laufe der Jahre häuft er ein kleines Vermögen an. 1881 übernehmen seine Söhne Georg, Konrad und Heinrich das Geschäft, 60.000 Einwohner zählt Mannheim inzwischen, Tendenz steigend. Entsprechend rasant geht es bei Schreibers aufwärts, zahlreiche Filialen werden in den verschiedenen Stadtteilen und später auch in den Nachbargemeinden Ludwigshafen, Speyer, Schwetzingen, Heidelberg, Weinheim und Viernheim eröffnet. Über ihren Großhandel beliefern die Schreibers inzwischen auch Württemberg und Bayern.
Weil das Haus in T 1,6 zu klein geworden ist, kommen die Häuser 7 und 8 dazu und werden zu fünfstöckigen Lagergebäuden umgebaut. Doch die Firma platzt aus allen Nähten, und so beschließt man einen Neubau. Der soll verkehrstechnisch günstig liegen, und da kommt das Grundstück in Neckarau an der Rheintalbahn wie gerufen. Ende 1913 ist Baubeginn, bei Kriegsausbruch 1914 steht der Rohbau, aber mangels Arbeitskräften wird das Gebäude erst 1917 fertig.
Auf 12.000 Quadratmetern ist modernste Logistik entstanden mit Warenaufzügen und internen Transportmitteln zum Be- und Entladen und Stapeln. Auf dem Hof ist Platz für Autos und Pferdefuhrwerke. Und das alles gibt es im neuen Areal: eine Kaffeerösterei für Bohnenkaffee, eine Anlage zur Herstellung von Malzkaffee, eine Sauerkrautfabrik mit Bottichen für je 50 Zentner und eine Wein- und Apfelweinkelterei. Außerdem werden Lebensmittel für den Einzelhandel verpackt.
Und so hat sich Schreiber 1937 im Mannheimer Adressbuch vermarktet: „Die Hausfrau spricht: was koch ich morgen? Schreiber nimmt dir alle Sorgen. Urahne, Großmutter, Mutter und Kind wissen, wo Schreiberläden sind. Jeder Zweifel ist verschwunden, Schreiber leistet Dienst am Kunden.“
Mannheim hat übrigens inzwischen 280.000 Einwohner.
Nach dem Zweiten Weltkrieg geht es gleich weiter und steil bergauf. Man kauft beim Schreiber – oder auch beim Konsum. Der Konsum wird später zu co-op, und dieser co-op kauft die Schreiber-Filialen zu einer Zeit auf, als es für den Einzelhandel eng wird auf dem Markt, mit stetig wachsender Konkurrenz. 120 Jahre Schreiber gehen zu Ende. Und ausgerechnet mit co-op geht Schreiber schließlich auch unter. Managementfehler haben das Unternehmen ruiniert.
Der Gebäudekomplex in der Fabrikstationstraße in Neckarau wird von der Fleischfabrik Müller aufgekauft. Heute sind eine Fleischwarenfabrik, verschiedene Firmen, das Fotostudio und Atelier „Fabrikstation“ und Schulungsräume in den Gebäuden untergebracht. Donnerstags ist für alle Wurst- und Fleischverkaufstag.
Das große dreistöckige Lagerhaus ist am besten von der anderen Seite der Bahnlinie, der Siemensstraße aus zu sehen. Die Fassade gleicht ein wenig einem griechischen Tempel, farblich außergewöhnlich schön mit Orangetönen und Grau gestaltet und mit weißen Putzornamenten verziert. Ein Schmuckstück inmitten eines grauen Industrie-Areals und ein Stück Mannheimer Geschichte.